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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orth
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während sie, Klüting, den Vertrag mit den Klett-Vertretern unterschrieben habe, der besage, dass man für die nächsten zehn Jahre keine anderen Schulbücher verwenden dürfe als eben die grünen. Zufrieden hätten die Frösche das Feld geräumt und die Fachlehrer eine Flasche Sekt geköpft.
    Frau Klüting schloss ihre Ausführungen mit dem Hinweis darauf, dass ich mich durch meine gestrige Abwesenheit bereits selber bestraft hätte, da das eigentlich für mich vorgesehene Fahrrad nun an ihren Mann verschenkt worden sei, Englischlehrer in der Kletthochburg KNOGY. Das macht nichts, atmete ich erleichtert auf, solange es keine anderen Schwierigkeiten gibt. Klüting schüttelte den Kopf, und in diesem Moment hörte ich, wie jemand von außen
    offensichtlich mit dem Fuß gegen die Lehrerzimmertür trat.
    Ich ging hin, öffnete und erkannte eine etwa 15-jährige Schülerin, die ihre beiden hohlen Hände zu einer Schale geformt hatte, in welcher sich irgendetwas befand, ich konnte nicht sehen, was. Sie fragte mich, ob ich das hier Frau Hoffner geben könne. Ich nickte, hielt meine Hände auf, und die Schülerin kippte mir einen Haufen harter, trockener, bereits zerkauter, offensichtlich von Schülerbänken abgekratzter Kaugummibollen in die Hände, ehe sie sich umdrehte und verschwand. Ich legte die Kaugummis zu Frau Hoffner auf den Tisch mit den Worten, das hier sei für sie abgegeben worden.
    Hervorragend, sagte Frau Hoffner, und begann die
    Kaugummiböbbel zu zählen, 12, 14, 16, 18, 20, sehr gut, beim ersten Mal fünf, beim zweiten Mal zehn, beim dritten Mal zwanzig. Dann sah sie zu mir auf und sagte, sie kenne da nichts, es gebe nur die eine Regel: Wer kaut, kratzt ab.

    16

    Als das Verhör endlich beendet war, trat der Direktor aus der Bibliothek. Die Erschöpfung stand ihm ins Gesicht
    geschrieben. Er hatte sich eine Blume ins Rockloch gesteckt und setzte sich gesenkten Hauptes. Seine Stimme klang heiser.
    Er wolle den Maulwurf bitten, sagte er nun, und alle wurden still, er wolle den Maulwurf bitten, sich zu erkennen zu geben.
    Er, Höllinger, habe alles versucht. Es sei ein Uhr, wir alle hätten Hunger. Er verspreche, dass dem Maulwurf nichts geschehen werde. Er sichere dem Maulwurf hier und jetzt, in der GLK, vor über siebzig Zeugen, absolute Straffreiheit zu.
    Nichts regte sich im Kollegium. Der Direktor rang nach Atem.
    Mit einem Schlucken im Hals fuhr er fort. Wie er denn jetzt dastünde? Vorm Oberschulamt? Ein Direktor, der nicht in der Lage sei, einen in seinem Lehrkörper sich tummelnden
    Maulwurf zu enttarnen? Ein unfähiger, ein gescheiterter Direktor. Er, Höllinger, habe strikte Order, bis um sechzehn Uhr des heutigen Tages den Namen des Maulwurfs ans
    Oberschulamt weiterzuleiten. Andernfalls – hier schwieg er und strich sich mit einem Taschentuch Schweiß aus dem
    Nacken – andernfalls: Untersuchungskommission. Die Lehrer zuckten zusammen. Wir alle wüssten, was das bedeute, fuhr der Direktor fort. Die Weißen würden kommen. Vormittags Durchleuchtung des gesamten Unterrichts- und
    Direktionsgeschehens, nachmittags Einzelverhöre. Auch ihn, den Direktor, werde man verhören. Also noch einmal seine Bitte. Immer noch regte sich niemand. Dann, sagte der
    Direktor, bleibe ihm nichts anderes übrig: Das Los müsse entscheiden. Die Lehrer schwiegen einen Augenblick,
    murmelten sich dann gegenseitig Mut zu und strichen ihre Hände auf den Hosenbeinen trocken. Bassel reichte die
    Lehrerliste einem der Oberreferendare, der sie am
    Laminiergerät neben dem Kopierer sorgfältig in Folie
    schweißte, dann zerschnitt Bassel die derart verstärkte Lehrerliste zu kleinen Streifen, warf die Streifen einzeln in Gräulichs Hut, den dieser, sooft es ging, trug, um sein Toupet zu verbergen, da er nicht wusste, dass alle schon wussten, dass es eins war. Dann schloss Höllinger die Augen, zog einen Streifen heraus, blickte in die Runde, sagte, der Maulwurf ist…
    Frau Ammei, wir hörten einen Schrei und sahen die
    aufgesprungene Frau Ammei totenstarr in Hilde Braunies Arme fallen. Daraufhin verließ der Direktor das Lehrerzimmer.
    Nachdem ich mit einigen Kollegen im Frühlingstau zu Mittag gegessen hatte, saß ich gedankenverloren im Zug nach Stuttgart und wünschte mir nichts sehnlicher als mich in aller Ruhe aufs Bett legen und schlafen zu können. Ich saß in einem Großraumwagen und achtete nicht auf die Menschen, die im Gang an mir vorbeigingen. Als der Zug in Plochingen hielt, warf mir plötzlich einer der
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