Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orth
Vom Netzwerk:
er
    peinlichst genau darauf geachtet, die Konzentration seiner Frau nie länger als 45 Minuten in Anspruch zu nehmen. In diesem Augenblick klingelte es, und ich stand vom Boden auf, gab Stramm die Hand, zog ihn hoch, sagte, kommen Sie, ziehen Sie sich an, wir sind spät dran, sagen Sie, haben Sie das Video The Grapes of Wrath irgendwo gesehen? Ja, sagte Stramm, Herr Safft hat es ausgeliehen, gestern, er hat gesagt, er braucht es irgendwann nächste Woche für seinen Grundkurs. Als ich die Tür zum Medienkeller schloss, hörte ich Stramms Stimme: Mein Schlüssel, wo ist mein Schlüssel? Aber ich stieg schon, ohne ihn zu beachten, die Treppen hoch.

    18

    Ich ging schnurstracks zu Safft und fragte ihn nach dem Film.
    Der sei bei ihm zu Hause, sagte er. Warum? rief ich. Er wolle ihn kopieren, sagte Safft. Ich bräuchte den Film, sagte ich, sofort. Langsam, langsam, sagte Safft, so wichtig könne es ja nicht sein. Wann er eine Freistunde habe? fragte ich Safft. Gar nicht, sagte er, volles Deputat plus vier Überstunden. Ob er verheiratet sei? fragte ich ihn. Safft nickte. Er solle mir seine Nummer geben, sagte ich. Die stehe im Adressverzeichnis der Lehrer, sagte Safft, drehte sich um und verließ das
    Lehrerzimmer, da es bereits zum zweiten Mal klingelte.
    Ich brachte die erste Schulstunde hinter mich. Beim
    Verlassen des Klassenzimmers traf ich auf Kniemann, die sich mit ihrer Rechten an meine Schulter klammerte und mir ins Ohr raunte, sie brauche Stoff, neuen Stoff, ob ich was für sie hätte, ich riss mich los, warf ihr die Worte Troja, Hannibal, Hastings hin und ließ sie, sich selbst belehrend, im
    Treppenhaus stehen. Als ich an der Fensterwand im
    Erdgeschoss vorbeiging, konnte ich sehen, wie eine grüne Mercedes-Limousine auf dem für Autos verbotenen Schulhof parkte, Frau Klüting aus dem Mercedes stieg und ein riesiges Pappschild mit den Buchstaben c, a und r auf das Dach des Autos klebte. Da lief Hilde Bräunle auf mich zu und fragte mich, ob ich mich mit Computern auskennen würde, der
    Drucker drucke nicht. Nein, sagte ich und ging ins
    Lehrerzimmer, wo ich mit ansehen musste, wie einige Schüler drei Statuen von nackten Gottheiten, meterhoch und
    augenscheinlich schwer, Achim Renner hinterhertrugen, der die Schüler mit dirigierenden Worten an seinen Tisch führte.
    Endlich kam ich zum Adressverzeichnis der Lehrer, schlug es auf und fand Saffts Telefonnummer, die ich mir, um sie nicht zu verlieren, auf den Handrücken notierte, ehe Pascal zu mir trat und sagte, er könne es nicht glauben, es sei einfach unfassbar. Was denn? fragte ich. Er habe heute Morgen einen Anruf vom Domkapitular erhalten, er, Pascal, sei für die Goldene Missio nominiert, die jedes Jahr an den besten kirchlich angestellten Religionslehrer verliehen werde.
    Glückwunsch, sagte ich in das Klingeln hinein und verließ das Lehrerzimmer. Nachdem ich meine Stunde zu Ende gebracht und ordnungsgemäß nach dem letzten aus der Klasse
    entfernten Schüler abgeschlossen und gesehen hatte, wie Frau Klüting ihren neuen Mercedes zurück auf den Parkplatz fuhr, ging ich ins Lehrerzimmer und wählte Saffts Nummer. Der Anrufbeantworter sprang an. Ich versuchte Frau Safft in kurzen Worten zu erklären, worum es sich handelte, bat sie, mir die Nummer des Films aufs Band zu sprechen, und gab ihr dazu meine eigene Nummer. Dann legte ich auf und wollte mich gerade aufs Sofa setzen, als plötzlich, während noch alle Lehrer in friedlicher, nichts ahnender Große-Pause-Hektik um ihre Tische schwirrten, die beiden Türen zum Lehrerzimmer gleichzeitig aufsprangen und sich drei, fünf, sieben, zehn, fünfzehn weiß gekleidete Männer unauffällig hineinschoben.
    Absolute Stille war die Folge. Eine Stille, in die hinein ein schreckliches Wort fiel. Untersuchungskommission, sagte einer der Männer. Gestern sei ein anonymer Anruf
    eingegangen, fuhr er fort, um sechzehn Uhr fünfundzwanzig, im Oberschulamt Stuttgart, der Einsatz von anonymen Anrufen sei jedoch laut Paragraf siebenundzwanzig neun der
    Verwaltungsvorschrift CIII über das Verwenden von Telefonapparaten zu dienstlichen Zwecken strikt verboten.
    Dem anonymen Anruf habe man aber unzweifelhaft
    entnehmen können, dass im Kollegium des Göppinger ERG
    ein Maulwurf sein Unwesen treibe, ein nicht identifizierter Maulwurf, ein selbstredend ungenehmigter und daher
    verbotener Sachverhalt. Des Weiteren sei man von einem unerlaubten Losverfahren in Kenntnis gesetzt worden, das während einer dienstlichen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher