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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orth
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gefunden! Stille. Dann brachen vereinzelte Rufe aus, ein Schlüssel, schrie man, gefunden, nicht dem Direktor gegeben, bravo, Kranich! Ich fasste mir in die Tasche, holte den zweiten Schlüssel heraus und rief, ich habe noch einen Schlüssel gefunden! Jetzt drängten sich die Lehrer um mich, es lebe Kranich, riefen sie, Stramm und Klüting nahmen gerührt ihre Schlüssel entgegen, bedankten sich vielfach, auch die anderen Lehrer winkten mir lächelnd zu. Dann nahm ich den Umschlag, den der Direktor mir gegeben hatte, aus der Tasche und schrie, ich bin einer der beiden Geheimen
    Sicherheitsbeamten! Die Lehrer zuckten zusammen. Das ist doch Quatsch, rief Klüting, die sich als Erste gefasst hatte.
    Wenn das stimmte, hätten Sie uns doch nicht gerade die Schlüssel zurückgegeben. Genau, riefen einige andere Lehrer.
    Ich reichte Klüting den Umschlag. Das ist der Beweis, rief ich.
    Klüting öffnete den Umschlag. Warum sollte es zwei geben?
    schrie Linnemann. Es hat noch nie zwei GSBS gegeben. Ich bin fest davon ausgegangen… Da rief Klüting entsetzt, es stimmt, es stimmt, er ist es! Die Lehrer wichen einen Schritt zurück. Ich stand immer noch an der Eingangstür und zog nun meine Pistole aus dem vorderen Hosenbund, ließ das Magazin, so, wie ich es in der Bedienungsanleitung gelesen hatte, klickend zurück- und vorschnappen, zielte in die Luft, drückte ab, ein Knall, Rauch, Putz bröckelte von der Decke, ich rief, das ist ein Überfall! Die Lehrer schwiegen. Ich sagte, Gräulich, nehmen Sie Ihren Hut und sammeln Sie sämtliche
    Schulschlüssel ein. Gräulich nahm den Hut vom
    Garderobenständer und ging an den Lehrern vorbei, von denen die meisten Mühe hatten, ihre mit Schlössern und Ketten an den Gürtelschnallen befestigten Schlüssel loszubekommen.
    Nach zehn Minuten trat Gräulich mit einem dick gefüllten Hut voller Schulschlüssel vor mich hin. Inzwischen waren auch die Pausenaufsichten zurückgekehrt und von mir in Empfang
    genommen worden. Ich nahm Gräulich den Hut ab, sagte, es rührt sich keiner von der Stelle, zielte, schoss kurz aufs Telefon, verließ das Lehrerzimmer, schloss die beiden
    Außentüren zu, steckte die Waffe weg und ging ins Sekretariat.
    Bassel lehnte gut gelaunt an der Sekretariatstheke und begrüßte mich mit den Worten, Mensch, Kranich, da wird wieder
    geschossen, üben denn die Oberreferendare schon für die Lehrproben? Ich zückte die Waffe und sagte, nicht dass ich wüsste. Nachdem ich Bassel und den Sekretärinnen ihre
    Schlüssel abgeknüpft und sie zu dritt in Bassels Büro gesperrt hatte, blieb ich einen Augenblick im Sekretariat stehen. Mein Herz schlug rascher. Zum ersten und einzigen und letzten Mal würde ich nun, heute, an meinem fünften Schultag, das Büro des Direktors betreten, ohne zuvor zu klopfen. Was wollen Sie? fragte Höllinger und sah von seinem Schreibtisch hoch.
    Die Waffe steckte für ihn unsichtbar in meinem Gürtel. Ich habe Ihren Auftrag erledigt, Höllinger, sagte ich. Was soll das heißen? fragte Höllinger. Schlüssel, sagte ich. Sie haben einen Schlüssel erbeutet? fragte Höllinger. Mensch, Kranich, Glückwunsch, von wem ist er denn? Von allen, sagte ich und kippte Gräulichs Hut vor ihm aus, sodass über sechzig
    rostgoldene Schulschlüssel auf seinen Schreibtisch klirrten.
    Höllingers Gesichtsausdruck übertraf meine Erwartungen.
    Alle? Das Wort quetschte sich mühsam durch seine Zähne.
    Wie meinen Sie das, Kranich? Alle, sagte ich. Der Direktor schwieg. Dann aber sagte ich, nein, Höllinger, nicht alle, einer fehlt noch. Und ich zog meinen eigenen Schlüssel aus der Tasche, schloss kurz die Augen und sah Jack Lemmon vor mir, der mit angewidertem Blick den Schlüssel auf den Schreibtisch seines Chefs geworfen hatte, genauso wollte ich schauen, genauso wollte ich den Schlüssel werfen, mit demselben Blick, mit derselben Haltung, mit derselben trockenen Geste des Handgelenks, und schon flog der Schlüssel aus meinen Fingern geradewegs Richtung Schreibtisch, flog durch die Luft und landete klickend auf dem Haufen der übrigen Schlüssel.
    Höllinger sah mich an. Ihr eigener? fragte er mich, Kranich, ihr eigener? Ich nickte. Sie kündigen? fragte er. Ich nickte wieder, siegesgewiss. Da erhob sich Höllinger, streckte mir die Hand entgegen und sagte, wenn das so sei, wünsche er mir viel Glück auf meinem weiteren Weg. Mit großen Augen reichte ich ihm die Rechte, während Höllinger mit der Linken eine Flasche Sekt aus dem Schrank hinter ihm
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