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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orth
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geknebelten Referendariatskollegen herausgezerrt, laut und deutlich das Wort to kill gesagt und den Kollegen erschossen.
    Der Kollege sei blutüberströmt neben dem Lehrerpult
    zusammengeklappt. Um den entsetzten Schreien der
    Siebtklässler entgegenzuwirken, habe der Referendar nochmals in die Luft geschossen. Dann habe Ruhe geherrscht. Nur einige der Mädchen hätten noch leise geschluchzt. Der Referendar habe dann in der Umwälzungsphase das Wort to kill von den Schülern mehrmals nachsprechen lassen, nicht ohne die mit tränenerstickter Stimme sprechenden Schüler darauf
    hinzuweisen, lauter zu sprechen. Vorschriftsmäßig habe der Referendar in einem weiteren Unterrichtsschritt das Wort to kill an die Tafel geschrieben, da, wie sie, die Fachlehrer, selbstverständlich wüssten, in der Fremdsprachenvermittlung das Aussprechen eines Wortes dem Schreiben und Lesen stets vorauszugehen habe. Ausgehend vom Wort to kill habe der Referendar den Kindern dann weitere wichtige Vokabeln
    anschaulich mit einfachstem Zeigen auf das jeweilige vor ihren Augen sich befindende Äquivalent vermitteln können. Blood, bullet, body,
    aber auch Patronenhülse, Rauch und
    Schmauchspuren. Er sei daraufhin in einem immer weiter ausufernden mind map auch auf den Zustand der Schüler zu sprechen gekommen, er habe Worte wie Angst, Schreie,
    Trauma, Tränen und Entsetzen von den Kindern nachsprechen lassen und anschließend an die Tafel geschrieben. Die Kinder hätten zitternd den Tafelanschrieb in ihre tränendurchtränkten Hefte eingetragen. Er, der Wortführer der Frösche, habe mit dem Fachleiter atemlos das Szenario verfolgt und in der Aufregung vollkommen vergessen, die Fehler des Prüflings ordnungsgemäß in die vorbereiteten
    Beurteilungsprotokollbögen zu notieren. Am Schluss der Stunde habe der Referendar das Wort suicide umwälzen und anschreiben lassen, ehe er sich die Pistole in den Mund gesteckt und abgedrückt habe. Die Kinder seien einen
    Augenblick still dagesessen. Dann seien sie schreiend
    aufgesprungen. Bevor sie aber aus dem Klassenzimmer hätten stürzen können, seien der Referendar und sein Kollege
    aufgestanden und hätten sich das Theaterblut aus dem Gesicht gewischt. Starr und gebannt hätten sich die Kinder wieder hingesetzt, sodass die Stunde abschließend noch eine
    wunderbare Wendung bekommen habe, hin zur
    Semantisierung des Wortes fake. Niemals, habe der Anführer der Frösche gesagt, niemals, dessen sei er sich absolut sicher, niemals würden die damals anwesend gewesenen Schülerinnen und Schüler diesen didaktisch hervorragenden
    Anschauungsunterricht vergessen können. Auf immer, habe er gesagt, seien die Vokabeln kill, smoke und fear in die Köpfe der Kinder eingebrannt. Und an diesem Beispiel könne man glänzend sichtbar machen, wie unverzichtbar die Anschauung bei der Vokabelsemantisierung sei. Es reiche eben nicht aus, eine einfache Kreidezeichnung an die Tafel zu kritzeln, um den Kindern die Bedeutung des Wortes car zu verdeutlichen. Es reiche auch nicht aus, ein Matchboxauto mitzubringen. Car bedeute eben weder Kreidezeichnung noch Matchboxauto, car sei einzig und allein ein wirkliches, wahrhaftiges, auf einer asphaltierten Straße fahrendes Auto. Aus diesem Grund hätte man eigentlich zur Semantisierung ein wirkliches, echtes, originalgetreues Auto ins Klassenzimmer mitzunehmen, was natürlich in Anbetracht der Enge des Raumes nicht zu
    bewerkstelligen sei. Aber, habe der Wortführer gesagt, man könne die Kinder dazu bringen, auf den Schulhof
    hinabzuschauen. Man könne das Auto vor der Stunde so auf dem Schulhof parken, dass es den Schülern bei einem Blick aus dem Fenster gleich ins Auge springe. Und da der Klett-Verlag bekannt sei für die großzügige Bereitstellung jeglichen Anschauungsmaterials, wolle er nun die Fachlehrer bitten, aus dem Fenster zu sehen, wo sie, die Frösche, einige der in den ersten units von Greenline vorkommenden Gegenstände naturgetreu und in Originalgröße aufgestellt hätten. Die Fachlehrer, so Klüting, seien ans Fenster getreten und hätten dort ein car, mehrere bikes und televisions, radios und sonstige Semantisierungsobjekte erkennen können. Diese Dinge, habe der Oberfrosch gesagt, gehörten ab sofort ihnen, den
    Fachlehrern, auf dass der Unterricht in der Unterstufe von größtmöglicher Anschauung geprägt fortan noch besser
    gelingen möge. Daraufhin hätten die Fachlehrer lautstark applaudiert und begonnen, die Gegenstände untereinander aufzuteilen,
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