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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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ein Grundstück und wurde binnen weniger Jahre zur Landplage. Kurz nach seiner Ankunft kündigte er einen Vortrag an, den er, Eintritt frei, unter dem Titel
Einheit ja – Einfalt nein!
in der Gaststätte »Ünner de Eeken« halten wollte. Er versprach, kritisch auf die im Grundgesetz behandelte DreifaltigkeitEigentum, Erbrecht und Enteignung einzugehen. Weshalb er über einen Mangel an Zulauf nicht klagen konnte. Dem Publikum gefiel es, in bildhafter Sprache von Gefahren und Möglichkeiten zu erfahren, und redlich kam ihm vor, dass der Zugereiste sich nicht als Kundenwerber versuchte. Im Maße, wie der neue Nachbar Lehrbeispiele jener Lebensart benannte, die auch ihre werden sollte, erkannten sie einen nützlichen Nachbarn in ihm.
    Die Würde des Menschen selbstredend voran, hat Jason Passwang gesagt, und ich habe es aus Hinnerks Verkürzungen in faktensatte Langschrift übertragen, die Würde voran, sei der Eigentumsparagraph die Herzkammer der Verfassung. Wer diesen Passus verstehe, verstehe die Welt. Und bestehe sie. Allerdings könne kein Deibel die Passage
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen
so ganz erfassen. Zwar lägen gelehrte Kommentare und musterstiftende Urteile vor, aber wenn das deutsche Volk aus dem schlau werden wollte, was es sich laut Präambel selber aufgegeben hatte, renne es zum Notar.
    Oder befinde sich im Tanzsaal von »Ünner de Eeken« jemand, der auf Anhieb sagen könne, was die GG-Bestimmung vierzehnzwo für das anfassbare Leben bedeute und was ein Bürger tun müsse, um beim Gebrauch seines Eigentums zugleich dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen? In diesem Falle bitte er, Jason Passwang, Bleicken-Ausbau, Telefon wie auf dem Aushang, um einen Kontaktanruf. So viel jetzt schon: Auch er wisse nicht gerichtsfest zu sagen, wann der Gebrauch einer neuen Hose zugleich dem Wohl der Allgemeinheit diene. Als Buchprüfer wisse er dafür genau, wie genau im Rechtsstaat das Leben belegt sein wolle. – Die Bewohner vonBleicken und die Besucher des Dorfkrugs »Ünner de Eeken« kamen an diesem Abend voll auf ihre Kosten, und ihr neuer Nachbar konnte nach vielen Tagen, an denen sein guter Rat in Haushaltsfragen weniger teuer als preiswert war, Ähnliches sagen. Seine beiläufig angefallene Rufnummer wurde wie seine keineswegs beiläufige Kenntnis des Rechnungs- und Quittungswesens von den Bleickenern zunehmend genutzt.
    Sie belachten es, wenn er seine wohlfeilen Dienste mit dem Spruch begleitete, er habe nichts gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung anstelle des Führerprinzips, meine aber, eine ordentliche Buchführung könne ihr nicht schaden. Genau bedacht, so schrieb mir Hinnerk, habe Passwangs Verfassungsschlenker den Alteingesessenen nicht nur die Schläue des Zugewanderten gezeigt, sondern auch belegt – indem sie seinen Zungenschlag unverdeckt belachten –, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung von der Großgemeinde Bleicken angenommen worden sei.
    Obwohl ich bei Frivolitäten, in denen das Führerprinzip vorkommt, zu Engherzigkeit neige, bedachte ich den Eindruck nicht weiter, dieser Jason könne von halbschräg ins Bild gewandert sein, war aber nicht überrascht, als mein Unbehagen durch Hinnerks Rapport bekräftigt wurde. So wohltuend des Buchprüfers berufliches Handeln gewesen sei, hieß es dort, so verwirrend hätten seine Redensarten gewirkt. Wobei niemand des Mannes Verdienste bestreite.
    Seine Neigung zu nationalen Obertönen hinderte ihn nicht, einem Ex-Volksarmeekoch, der auf Tattoo & Piercing umgesattelt war, die Berufsbezeichnung
Durchstecher
auszureden. Anderen, die vorm Umsatteln schwankten,hatte er gesagt, auch wenn es nach der Losung
Überholen ohne einzuholen
oder der Parole
An den eigenen Haaren aus dem Sumpf!
klinge, stimme der Slogan
Joblos, aber nicht hoffnungslos
doch. Nur Selbstständigkeit führe aus Abhängigkeit.
Unternehmen von unten!
oder
Auftrieb von den Graswurzeln her!
laute sein Konzept, das er durch Sichten und Lichten von Firmengründerpapieren zu Leben bringen wolle. Doch müsse früh darüber hinaus gedacht werden.
    Er wisse, dass der durch Ordnung erreichte Überblick eines Tages Eigentum erbringe; wisse aber ebenso, dieses wolle behütet sein. Gut gesagt, doch wie getan in der freiheitlichen Demokratie, die das Gewaltmonopol des Staates einbegreife? Mit Zähnen und Klauen? Mit Zähnen und Klauen wohl, aber nur mit denen? Das schrecke keinen Stehldieb ab.
    Anders als der Amerikaner,
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