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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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Ordnungswesen im Gedinge standen. Mit jedem Versuch, ein Bild zu unterdrücken, das ihn als Nummer 4 im gelben Kittel zeigte, zoomte es näher heran. So zweckgerichtet, so säulenartig artig, würde seine gewesene Gemahlin vorm Fernseher sagen, habe sie ihn immer gewünscht. So beengt, so bemessen eingezirkelt, würde die Dame vom verhungerten Rasenstück sagen, habe sie ihn vor Zeiten erlebt. Während ihm derart Störerbegünstigendes durch den Kopf lief, baute sich in seinem Herzen ein Grundbeben auf. Passrechter konnte daher der Ball, der in einem buchstäblichen Augenblick seinen Sichtkreis tangierte, ehe er ihn in den Rücken traf, nicht kommen.
    Als die Ordner Nr. 3 und Nr. 5, unterstützt von den Ordnern Nr. 2 und Nr. 6, flankiert von Nr. 1 und Nr. 7, den Störer Jan G. durch die finale Röhre schleiften, dämmerte ihm, was geschehen war. Er hatte ein Verlangen, das unbändig hieß, nicht länger Lügen gestraft und die Kugel ins Feld zurückgeschlagen. Ins Tor vielmehr. Es war, wusste er unter bedenklichem Lachen, ein halb vergurkter Flatterball, doch, sapperlot, er saß.

PATCHWORK
    Mein Freund Hinnerk neigt zu konstruktivem Missfallen. Habe ich lange nichts geschrieben, schickt er Romananfänge, die mir auf die Sprünge helfen sollen. Der letzte ging so: »Sie wolle sich scheiden lassen, sagte die Frau zum Mann, sie halte es nicht länger aus. – Wenn es ihr um Geld zu tun sei, erwiderte er, das könne sie leichter haben, kramte den Revolver vom Schrank und schoss sich tot. – Schöne Bescherung, sagte die Frau; der Doppelsinn machte sie lachen.«
    Gar nicht schlecht, doch weil es auf eine Ehekrise mit Rückblenden hinausgelaufen wäre – wer sind die Leute, und wie kommt der Revolver auf den Schrank? –, habe ich mir lieber etwas aus den Fingern gesogen. Einen Roman, über den Hinnerk dann befand, er sei handlungsarm und wortüberwuchert. Zwischen den Zeilen stand unübersehbar: Halte dich ans pulsende Leben, Mann! Um mir dabei beizustehen, schrieb er in sorgfältigem Sütterlin bei einem Gelehrten ab, was der unter Manierismus versteht. Es muss ihn Zeit gekostet haben, und kräftig unterstrichen hat er die Auskunft, beim M. gehe übermäßige Handlungsarmut mit unnötigem Formenreichtum einher.
    Da Hinnerk den Reichtum wie die Armut beheben und mich vom Formalismus befreien wollte, versah er mich schon am nächsten Posttag mit Handlung übergenug. Mit Papier, das aus Briefen, Anträgen, Bescheiden, Klageschriften, Urteilen und anonymen Schmähzetteln bestand. An die vier Pfund Originale und Kopien ineinem übergroßen schockgelben Umschlag. Kein Gedanke, ich hätte die Gabe gleich nach ihrem Eingang mehr als flüchtig studieren können.
    Weil das erklärt sein will, sage ich kurz, was geschehen ist: Am Abend des Tages, an dem Hinnerks Urkundenpaket eintraf, musste ich zu einer Lesung, die ich am liebsten abgesagt hätte. Aus einem Grund, der schlicht Gicht heißt, aber Teufelei genannt werden sollte. Die Scheußlichkeit hatte mich seit Jahren halbwegs in Ruhe gelassen, doch fiel sie in der Nacht vorm lang vereinbarten Auftritt in Z. über mich her.
    So spät kündigst du nicht; es sei denn, du hättest die Bücherfreunde, die sich deinetwegen versammeln wollten, beizeiten gewarnt: Bleibt zu Hause, Leute, ich muss es auch; erspart es euch, statt eines alten Kerls einen siechen Greis ans Pult kriechen zu sehen, und erspart es mir, euch gichtschubhalber mitten im frisch ausgedachten deutschen Satz etwas vorkreischen zu müssen! – Nur ging das nun nicht mehr.
    Spätestens wenn du dich fluchend ins Auto gezwängt hast, weißt du, das Fahrzeuglenken erfolgt vorzüglich unter Einsatz der Zehengelenke. Und bald merkst du, dies ist eine bewusstseinsweckende Plage. Was längst ins Unbewusste ausgelagert war, will jetzt energisch aufgerufen und gegen Widerstand aus widerlichstem Schmerz durchgesetzt sein. Soll sich die Karre rühren, musst du die Knochen rühren. Jaule nur, wenn es gilt, mit dem einen Fuß zu kuppeln; brülle und heule, wenn der andere vom Gas auf die Bremse muss, aber enthalte dich jeder Verkehrsgefährdung und bleibe am Lenkrad Herr deiner Wege.
    Weil die Art vorsätzlichen Fahrens, die sich aus demRegiment der Knochenpest ergibt, selbst des geübten Wagenlenkers Tüchtigkeit einschränkt, verließ ich den Nord-Süd-Fernweg zugunsten der übrigen Verkehrsteilnehmer, zugunsten meiner meiner harrenden Leser und nicht zuletzt zu meinen Gunsten. Doch brachte das einen Wechsel vom glatten
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