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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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auf verhungertem Rasen. Cool hätten jene verbissenen Bolzer es einst gefunden, dachte Jan G., und cool hätte jene Dame einst ihn gefunden, dachte er, wäre ihm, ach, mit dem verirrten Ball ein beiläufiges Kunststück geglückt.
    Obwohl ihm über die Jahre einige Mechanikerkunststücke gelungen waren, beiläufig kam keines zuwege. Der bei Dienstleistern beliebte Werkstattspruch von den Wundern, die etwas länger dauern, sei auf ihn gemünzt, hatte er einmal beim Bier behauptet. Die Hälfte des Satzes schaffe er mit links. Weniger die Wunder, wohl aber, dass es länger dauere. Protest kam, wie erhofft, prompt. Er solle nur ja nicht den Lahmarsch geben, vernahm er höchst angetan und fragte sich, ob ihm zu dem respektvollen Bescheid die passende Demutsmiene halbwegs gelungen sei.
    Einen Daseinsschritt später, am Abend in der Finalarena, hätte er gar zu gern gewusst, ob seine Miene zu dem gelben Leibchen stimme, in das man ihn gekleidet hatte, einen Kittel, auf dem neben der Nummer 4 weniger drohend als anspruchsvoll
Ordner
stand. Versucht, den Unterschied zwischen einstiger und jetziger Autorität zu bedenken, empfahl er sich, zunächst ein Ordner seiner selbst zu sein.
    Folglich ging er die Frage an, gegen welche Abwehrreihen welcher Mannschaft die jeweiligen Sturmläufe in seinem Rücken vorgetragen wurden und in welchem der Tore er welchen der ruhmbedeckten Torhüter zu denken habe. Die Lösung hatte er bald. Er musste sich nur an die roten und blauen Farben der Schals der Fans und an die Drehungen der Hälse darüber halten. Auch unterschied er mühelos zwischen aufmunternden oder angstvollen Gesten. Danach wollten lediglich die Gebärden vor seinen Augen mit den sportsmännischen Verlautbarungen hinter seinen Ohren synchronisiert sein.
    Falls man etwas zur Platzwahl gesagt hatte, war es Jan G. entgangen, da auf jeden Ton aus den näheren Lautsprechern so beeilt Töne der ferneren folgten, dass in all der Hast kein Wort daraus entstand. Mochte sein, die Videokameras kannten keine toten Winkel, dafür machte in seinem Winkel ein überlebendiges Audiosystem von sich hören. Über den jobbedingten Entzug hinaus, infolgedessen er halb blicklos in der Sperrzone stand, trampelten die Töne einander in einer Weise nieder, die ihn alles vernehmen und nichts verstehen ließ.
    Dem Instrukteur hätte die semiblinde und semitaube Verfassung Jan G.s als ideal gegolten. Als ahne ihm von dessen künftigen Orientierungsversuchen, hatte er gesagt, je weniger ein Ordner vom Verlauf des Matches wisse, desto wirksamer könne er Ordner sein. Wissbegier und Leidenschaft gälten für die zahlenden Leute auf der Galerie, nicht für bezahlte Leute der Securitas. Die sollten sorgen, dass kein Spieler in Mitleidenschaft gezogen werde. Ende des Auftrags, Ende des Vertrags. Nur logisch: Wer alle Aufmerksamkeit auf das Publikum wende, habe keine für die Spieler übrig. Nach den Regeln dürfeihm keine verbleiben. Für die Sicherer des Finales gelte, was für das Finale gelte: Ganz oder gar nicht, alles oder nichts, entweder oder. Auf keinen Fall sowohl als auch.
    Die Worte hatten nach Abschluss geklungen. Weshalb Jan G. sich ihrer doppelt entsann. Einmal, weil sie zum jetzigen Stand der Rasendinge nichts enthielten, und zum anderen, weil es beileibe keine letzten Worte gewesen waren. Im Ton von Bescheiden, die mit sich selbst im Einklang standen, breiteten sich weitere Ordres aus: Körperhaltungen verrieten Geisteshaltungen, daher werde von verschränkten Armen abgeraten. Nicht zufällig sei es auch sprachlich von Verschränktheit zu Beschränktheit nicht weit. Wie einerseits Türstehermentalität aus Gliedmaßen spreche, die vor dem Bauch verhäkelt seien, zwängen und zwängten sie andererseits den Körper in eine Zwangsjackenposition. Das Berufsbild oder Nebenberufsbild von Aufsichtsführenden jedoch vertrage sich weder mit Aggressivität noch Hilflosigkeit.
    Von wachstem Aufdemsprungesein hingegen zeuge eine Haltung, bei der die Ordner-Hände einander knapp über dem Ende des Rückgrats locker umschlössen, während die Füße bei durchgedrückten Knien leicht abgeschrägt und leicht aufgesetzt auf dem Arenaboden ruhten. Er nenne es die
No-nonsense -
oder
Besser-nicht-mein-Bester -Figur
. Weil aber über das Figürliche das Gehirnliche bestimme, komme er auf Gefährdungen des Finales durch Gripsversagen zurück. Und wiederhole: Wer sich um das Spiel auf dem Felde kümmere, entziehe sich seiner Aufsichtspflicht.
    Begrüble einer, von
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