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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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welchem der hinter ihm um den Ball rangelnden Grätschenmeister die so ganz besonderen Knurr- und Schnieflaute stammten, werde er unweigerlichseinen Auftrag als Hüter der vertikalen Zugangswege vernachlässigen. Auch wenn die Damen und Herren in schwingender Linie den Platz umspannten, seien sie keine Linienrichter. Das fehle noch, jemand aus ihren Reihen vermute und melde den Unparteiischen trotz seiner partiellen Blindheit und trotz seiner teilweisen Taubheit ein ebenso übles wie verdecktes Foul.
    Nichts dergleichen habe man zu melden. Angesichts der Finale-Regeln müsse jedes Glied der Sicherheitskette im Sinnbild der dreifach entsagenden Tempelaffen sein Richtzeichen sehen, sagte der Instrukteur. Er machte zwei der äffischen Posen vor, indem er zuerst nur die Zeige- und Mittelfinger auf seine Ohren legte, um danach mit eingerollten Händen ein Teleskop vorm zweckvermählten Auge anzudeuten. – Der Ordner Jan G. sah und hörte nicht ohne keimende Zweifel zu. Fast war ihm, als bildeten sich in seinen flüssigen Teilen salzige Kristalle aus.
    Der Instrukteur kramte für jeden Sinnesbereich ein Exempel aus seinem Zettelköpfchen. Wegen etwaiger Schweißschwaden möge keiner die Nase rümpfen. Dem Satelliten, mithin der Erdball-Fußballgemeinde, entgehe nichts. Ansonsten gelte
non olet
auch für die Gage. Wer an Zwischenrufzwang leide, solle nicht glauben, auch nur einer der Edlen werde mitten im Fluge von einer Schwalbe Abstand nehmen. Man verbrauche nur Ressourcen, auf die einzig die Arenabetreiber alle Rechte besäßen. Um einmal von Ästhetischem zu reden: Bubblegums müssten ausnahmslos entfallen. In Einklang mit den geltenden Beschlüssen zum Betragen der Spieler kämen auch für Ordner goldene Kettchen oder brillantenbesetztes Nasengeschmeide nicht in Betracht. Analogesgelte für Uhren der Rasenstars oder Rasenhüter. Abgesehen von der Verletzungsgefahr, mindere nichts stärker die Quote als ein Platzhüter im Global-TV, der unter dem Hemdsärmel nach seiner Rolex nestle. Ebenso wenig dürfe einem Verlangen, ab und an ins Tuch zu schnauben oder sich hie und da zu kratzen, nachgegeben werden. Gefesselt sei keiner, in Maßen zweckgebunden aber jeder.
    Noch eines: Die geforderte Wachheit richte sich zwar ausschließlich auf die Besucherseiten der Arena, doch meine sie kaum die Besucher selbst. Obschon der Ordner das Publikum gleichsam abstrakt im Auge haben solle, dürfe sein Auge nicht konkret auf ihm ruhen. Nicht auf einzelnen Teilen und nicht auf besonders schönen Teilen. Schon gar nicht in einer Manier, die als Belästigung gelten könnte, welche trotz der befristeten Dauer der Verträge als Belästigung am Arbeitsplatz geahndet werden müsse. Wie es am Arbeitsmarkt geahndet werde, könne er nicht sagen.
    Ein Letztes: Spielphasen seien denkbar, in denen es einen der Ordner nach Austausch mit seinen Nachbarordnern verlange. Möge ein jeder dieses Geistes Kind in der Wiege erdrosseln! Der Nebenmensch verstehe vor lauter Arenaklängen ohnehin kaum ein Wort, die Menschheit aber, millionenfach bildschirmverbunden, werde sich beunruhigt fragen, welches Rasen- oder Randgeschehnis die Nummer 5 oder 50 eben veranlasst habe, alarmiert die Zähne zu öffnen. Weshalb er, sagte der Instrukteur, Nummer 5 oder 50 und Nummer 3 oder 30 sowie alle übrigen Nummern ersuche, in den nächsten zwei Stunden nichts als sie selbst und ohne alle Nebenfühlung zu sein.
    Eine Instruktion, die Jan G. binnen kurzem mehr als beengte. Ob hinter ihm Alonso oder Alfonso traumhafte Flanken schlug, konnte der Ordner im Leibchen Nr. 4 nicht sagen. Ob Keeper Robinson gewagte Robinsonaden wagte oder Keeper Kalaschnikin bei Paraden glänzte, entzog sich ihm. Ob es Romulus oder Remus war, der die Abwehr mit Kernschüssen prüfte, blieb ihm verborgen. Ob Rot oder Blau auf grünem Rasen gelbe oder rote Karten sah oder, Skandal, hätte sehen müssen, sah er nicht. Zu den periodischen Entsetzensschreien des Publikums voraus, das auf alle Äffchenregeln ersichtlich und unüberhörbar pfiff, wurde er keiner Gründe achtern inne.
    Sacht jedoch seiner Lage. Je länger Jan G. Hören und Sehen und Riechen und Sprechen und Vermuten und jegliche Nebenfühlung vermied, desto heftiger befiel ihn Eigenfühlung. Je inniger sein Bemühen, die Optik und Elektronik vor seiner Nase und den Instrukteur zu seinen Häupten zu vergessen, umso stärker trat ihm das Video mit ihm als schwachem Kettenglied vor die Augen. Vor seine kontraktgebundenen Augen, die beim
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