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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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Wüten im Bein merklich zurück.
    Der Schein trog nicht. Dort, wo der Zubringer wieder auf die Bundesstraße trifft, war das Übel verschwunden. Ein Wunder, das ich still hätte annehmen sollen, doch gab ich mich mit dem Ende des Leids als Lied ohne Worte nicht zufrieden. Klartext musste her: Wenn von dem wilden Ungemach nur mildes Unbehagen geblieben war, weil ich den Grund vom Kommen und Gehen der Gicht nicht wusste, musste der Wechsel meiner Empfindungen mit der Lesung zusammenhängen. Wo nicht mit dem Text, dann mit seiner Aufnahme. Also doch mit dem Text.
    Falls es so war, lag keine Wunderheilung, sondern Selbstheilung vor. Oder sollte man ganz andrerseits von eingebildeter Krankheit sprechen? Bildete ich mir die Attacke nur ein, und bildete ich mir jetzt ihren Rückzug ein? Gesundete ich, weil ich in Z. ein Bad in der Menge nahm? Müsste ich entweder als eingebildeter Kranker gelten, wie er bei Molière beschrieben steht, oder als krankhaft eingebildet? – Hatte am Ende gar die Berg-und-Tal-Fahrt mir die Misere aus den Gliedern getrieben? Ein knochenschütternder Beelzebub den markerschütternden Teufel?
    Jetzt, wenn Hinnerk da gewesen wäre! Der wusste Antwort auf solche Fragen. Der kannte sich als Künstler mit Teufeln und Beelzebuben aus. Wie als werktätiger Mensch mit eingebildeten Kranken und eingebildetenSchreibern. Und als Zeichner von Graden mit eingebildeten Zeichnern. Dem ginge zu erzieherischen Zwecken ein Verweis auf den
Eingebildeten Kranken
von Molière flott von der Zunge. Überdies konnte er Wörter wie
Malade imaginaire
oder
Manierismus
in Sütterlin schreiben. – Aber weit und breit nur dunkle Havelwiesen. Ich musste mir gegen den Verdacht, entweder ein beifallsüchtiger Narziss oder ein bühnenreifer Scheinkranker zu sein, allein beistehen. Wobei der würzige Ruch von frisch Gemähtem, der mit dem Havelwind in den Wagen drang, mir stichwortgebend zu Hilfe kam.
    Wat good is för de Küll, is ook good för de Hit, sagte mein Großvater, wenn er beim Heuen die Strickweste anbehielt. Und ich sagte mir: Was gegen die Pein taugte, mag auch gegen Peinlichkeiten taugen. Gegen den Glauben etwa, das Knochenreißen sei ein Phantom gewesen, das sich unterm Beifall von Z. verzog. Oder gegen die anders famose Idee, der Knüppeldamm habe die beißenden Knoten aus meinem Gebein geprügelt. Dennoch: Was gut gegen den Anfall war, könnte auch gut gegen die Annahme sein, mir habe von der Plage nur geträumt und unterm Applaus im Märkischen sei ich zu mir gekommen. Sei einem Wahn entkommen. – Weshalb ich hinterm Lenkrad noch einmal Hinnerks Notizen in meinem Kopfe dingfest machte, Wort für Wort. Ein Aufwand, bei dem ich darauf achtete, dass mir für einen unfallfreien Heimweg an sächsischen Radlern und mecklenburgischen Rehen vorbei genug Obacht-Reserven verblieben.
    Nach Hinnerks Darstellung hat Jason Passwang, kaum war der Armbrust-Verein auf gutem Weg, weiterem Retro das Wort geredet. Ein zündendes insofern, als er die Rückwärtsbewegung als Fortschritt zu den Bleickenernbrachte. Wenn es auch, hat er gesagt, pekuniär genommen nicht jedermann leichtfalle, beim Gebrauch von Eigentum zugleich ans Gemeinwohl zu denken, halte er sehr wohl eine technische Zurücknahme für überfällig, die zugleich dem allgemeinen wie dem persönlichen Fortbestand dienen könne.
    Nein, er komme nicht mit der ollen Kamelle vom Abschaffen des elektrischen Autoanlassers daher. Weit gefehlt. Oder nicht so weit, im Prinzip gehe es um das Gleiche. Die Theorie suche nur einen Weg in die Praxis. Deren Fragen lauteten: Dem Klima zuliebe zurück zur Anlasserkurbel? Nein, nein! Man denke nur an die Unzahl zerschlagener Handgelenke und Schienbeine. Dann aber vielleicht zurück zur alten Fensterkurbel? Aber ja, warum denn nicht? Wisse jemand von jemandem, der Frischluft haben wollte und gebrochene Finger bekam?
    Es gebe Zusammenhänge zwischen dem Einbau elektromechanischer Hilfen im Verkehrsbereich und einem körpermotorischen Abbau im persönlichen Verkehrsbereich. Das Entfallen der Scheibenkurbel als Folge elektrischer Scheibenheber habe ein Nachlassen im Mensch-Menschlichen zur Folge gehabt. Wirbelsäule, Zirbeldrüse, Schwurbelsäure, dergleichen. Weshalb eine Wiederbelebung durch Wiedereinführung der Handkurbel anzuraten sei.
    Das Geschehensfeld, um das es hier gehe, so hat Passwang zur Verdeutlichung gesagt, und Hinnerk hat es für mich aufgeschrieben, weshalb ich es neben der Gicht, dem Getier und dem Gegenverkehr bedenken
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