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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz
Autoren: Hermann Kant
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des Nachtrags und zurück zu mir, wie ich vor der Post überlegte, welchen Arzt ich in Sachen Gicht konsultieren könnte, ehe ich den Landrat in Sachen Kur informierte. Oder doch noch ein Wort zu dem Mediziner aus dem Nachbarort: Unwichtig, warum ich damals gerade zu ihm gefahren war; wichtig nur, dass ich es nicht wiederholte. Oder was würden Sie, lieber Leser, tun, wenn einer, den Sie einmal mit nichts als nassem Hund bekleidet sahen, so täte, als hätte er Sie nie gesehen?
    Für mich war er in seinem weißen Tarnzeug und ohne Golden Retriever zunächst nur ein unbekannter Arzt, bei dem ich Hilfe suchte. Am Schniefen jedoch, das mithin bei unserer Erstbegegnung seines und keines seines Hundes gewesen war, erkannte ich ihn. Ich bekam mein Rezept, sagte Dank, hinkte davon, hatte einige Mühe, zu seinem Schweigen nicht den Kopf zu schütteln, sagte mir aber, vielleicht hatten ja Herr und Hund einander gelobt, von der nassen Sache im Dorfe P. für immer die Schnauze zu halten.
    Nun aber die Post erledigt! Zwar habe ich keinen Brief an den Landrat spediert, bin jedoch Hinnerks Bündel losgeworden. Problemlos, da in der Agentur gleich drei Agentinnen Dienst taten. Meine, zu der ich nach kurzem Aufenthalt an der Diskretionslinie gelangte, gab mirfreundliche Blicke, musterte anerkennend den wohlverklebten hochgelben Packen, wog die Sendung, zog das Porto ein, händigte mir die Quittung aus und sagte
Tschüß!
mit einem langen ü und mit Eszet.
    Ledig der Last, bestieg ich mein Fahrzeug, doch war ich nicht aller Sorgen ledig. Hatte sich am Tag zuvor nach ruckelndem Weg die Gicht verzogen, sprangen mich jetzt auf halbem Wege Bedenken an. War es richtig gewesen, das Gepackte in der gleichen Verfassung auf den Postweg zu geben, in der es zu mir gekommen war? Hochgelb und in Pfunden schwer. Infolge des Tausches meines Briefleins gegen Hinnerks ausholenden Begleitbrief zwar etwas leichter, aber durch meine Kenntnis seines Inhalts von doppeltem Gewicht. Ich riet mir zu ruhig Blut: War die Sendung angelangt, würde sie auch zurückgelangen. Sie reiste ja nur von Südostmecklenburg nach Nordwestmecklenburg und musste nicht an somalischen Küsten vorbei. Was sollte ihr schon passieren?
    Das war, Ostmecklenburg hin, Westmecklenburg her, eine leichtfertige Frage. Hatte ich zwar von Torfbränden und Radrissen anderswo gehört, wusste aber nicht, dass auch am Postweg zwischen meinem P. und Hinnerks B. brennbare Torfmoore lagen? Und dass die Bahn, die ihn und mich verband, auf ähnlichen Rädern rollte? Vergaß ich überm Bohrloch, mit dem BP mehr als ein Sommerloch füllte, die heimatnah explosiv Liquides bergenden Kessel und auch die unfernen Halbwertszeithöhlen und auch die gasführenden Röhren und auch die energiegeladenen Netze, an denen vorbei, über die hinweg, unter denen hindurch das schockgelbe Dokumentenkolli ans Ziel gelangen musste? Nahm ich den Regen von Pakistan und China für gegeben und meinte, Mecklenburgs Himmel halte immerdicht? Sah ich, zumwinkelnochmal, sicheres Geleit für meine Post durch die Post verbrieft und hielt abstürzende Hauptbahnhofsbalken für unwiederholbar? Wusste ich, die Erde war verbraucht, meinte jedoch, für Nordwestsüdostmecklenburg gelte das erst in hundert Jahren?
    Nachdem mir auf den Residenzstraßen, die nach Elisen und Luisen hießen, über Apokalyptisches hinaus viel Kleinkalibriges eingefallen war, dem Jason Passwangs Unterlagen zum Opfer fallen könnten, und als ich bedacht hatte, womit ich angesichts des Buchprüfers Händelsucht rechnen musste, falls ich entgegen seiner Lehre die Auflieferung der von ihm handelnden Papiere nicht mit genauem Frachtpapier belegen könnte, fuhr ich aus dem nächsten Verkehrskreisel dort wieder hinaus, wo ich in ihn hineingefahren war, und betrat ein weiteres Mal das Depeschen-und-Pakete-Office.
    Wie eben lief auch diesmal alles am Schnürchen. Wir Kunden traten in einer Reihe an, die sich ab der Intimzonenmarke zur Dreierlinie teilte, und rückten dank des Bedientrios zügig vor. Bis der Mann zwei Plätze vor mir an den linken Schalter gerufen wurde und dort einen Stapel Briefe unterschiedlichsten Formats auf den Tresen hob. Er musste ihn auf die Weise getragen haben, in der einst der Hund Banjo getragen worden war.
    Das könne dauern, hörte ich meinen Hintermann sagen. Und hörte es gleich noch einmal, als die Frau vor mir, jeder Zoll eine Betreuerin, mehrere buntgewandete Jugendliche zu sich an den rechten Schalter rief, wo sie der Posthalterin
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