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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug
Autoren: Joy Fielding
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Mitleid mit diesem Mann. Sie wollte kein Erbarmen mit ihm haben. Es war zu spät, ihm zu helfen, genau wie es zu spät war, ihrem toten Kind zu helfen.
    Gail stellte sich die bange Frage, ob es auch für ihre übrige Familie zu spät sei.

38
    Sechs Monate vergingen, ehe die Verhandlung begann. Es war ein heißer Juli. Der Sommer hatte lange auf sich warten lassen und schien nun das Versäumte mit Gewalt nachholen zu wollen. Der April war kühl und feucht gewesen und hatte sich am letzten Nachmittag mit einem heftigen Gewitter verabschiedet. Wenn es doch nur vor einem Jahr so geregnet hätte, dachte Gail. Dann suchte sie Zuflucht in der tröstlichen Gewißheit, daß man wenigstens Cindys Mörder gefaßt hatte.
    Auch der Mai war naßkalt und unfreundlich gewesen, und selbst im Juni blieb es für die Jahreszeit zu kühl. Aber dann war das Wetter plötzlich umgeschlagen; die Sonne war durch die Wolken gebrochen und die Temperaturen waren stetig gestiegen. Das erste Juliwochenende, an dem man den Unabhängigkeitstag feierte, brach alle Hitzerekorde der letzten Jahre.
    Seit Prozeßbeginn versammelte sich Gails Familie jeden Tag im Gerichtsgebäude auf der Livingston Avenue. Nach einer langwierigen und hitzigen Debatte war der Antrag auf Überstellung an ein anderes Gericht abgelehnt worden. Die Verhandlung fand in Livingston statt. Die Medien hatten in der Vorphase ihre Bereitschaft bekundet, möglichst unvoreingenommen zu berichten. Man kam zu dem Schluß, die Chancen des Angeklagten auf einen fairen Prozeß seien in Essex County nicht schlechter als anderswo.

    Das Geständnis des Angeklagten war für ungültig erklärt worden. Einige Anzeichen sprächen dafür, daß es sich um ein erzwungenes Schuldbekenntnis handele, urteilte der Richter, und damit war das unterzeichnete Geständnis gegenstandslos.
    Der Staatsanwalt blieb zuversichtlich. Er hatte einen Zeugen, der beschwören würde, daß der Beschuldigte ihm den Mord in allen Einzelheiten geschildert habe. Zwar mußte auch der Anklagevertreter einräumen, daß Bill Pickering nicht gerade der Prototyp des unbescholtenen Bürgers war - tatsächlich hatte man ihm sogar eine »Gegenleistung« für seine Aussage zugesichert -, aber sein Alibi für den Nachmittag des Mordes war hieb- und stichfest, und sein Lebenswandel machte ihn über jeden Verdacht erhaben, was das grausige Verbrechen an einem Kind betraf.
    Der Angeklagte hatte kein Alibi für die Tatzeit; er war als Einzelgänger bekannt; niemand in der Pension, wo er logierte, konnte sich erinnern, ihn je mit einer Frau gesehen zu haben. Schlimmer noch, die Polizei hatte in seinem Schrank versteckt einen Stapel Pornohefte mit Aufnahmen von Kindern gefunden.
    Die Last der Indizienbeweise war erdrückend. Majors’ Fußabdruck stimmte mit dem überein, den die Polizei am Tatort gefunden hatte. Er besaß eine gelbe Windjacke, wie die Jungen im Park sie an dem flüchtenden Mörder gesehen hatten. Den schwerwiegendsten Beweis lieferte freilich die gerichtsmedizinische Untersuchung, die eine unleugbare Verbindung zwischen Mann und Kind ergab.
    Am ersten Verhandlungstag kamen die Waltons frühzeitig und sahen die Neugierigen in Scharen vor dem Gerichtsgebäude eintreffen. Nach einer Weile standen die Leute Schlange bis auf die Straße. Viele wurden wegen Überfüllung der Zuschauertribüne abgewiesen, als man Gail und ihre engsten Verwandten hineinführte. Fotoreporter schossen nun wenige Zentimeter vor Gails Gesicht ihre Aufnahmen. Das Blitzlichtgewitter blendete sie, doch die Journalisten zögerten nicht, ihre Verwirrung im Bild festzuhalten und für die Titelseite auszuschlachten. Wie
Dauerlutscher hielten sie Gail ihre Mikrophone vor den Mund. Sie wollten wissen, ob Dean Majors in ihren Augen schuldig war, und ob sie hoffte, daß man ihn zum Tode verurteilen werde. An der Tür zum Gerichtssaal stellte Gail sich den Fragen der Zeitungsleute, während um sie herum unablässig Kameras klickten und Blitzlichter aufflammten. Die erste Frage beantwortete sie mit einem schlichten Ja; sie sei von Majors’ Schuld überzeugt. Ob sie auf die Todesstrafe für ihn hoffe? Sie schüttelte den Kopf - sie hoffe auf gar nichts mehr, erklärte sie.
    Das brachte die Reporter zum Schweigen. Die Blitzlichter erloschen. Die Fragen verstummten. Gail betrat den überfüllten Gerichtssaal und setzte sich auf ihren Platz in der ersten Reihe.
    Während des gesamten Prozesses drängten Familienmitglieder und Freunde sich eng zusammen: Gail und Jack
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