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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug
Autoren: Joy Fielding
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den Mut habe ich immer noch nicht. Der oberste Richter hatte ihr einen unwillkommenen Strafaufschub gewährt und sie zu lebenslänglichem Überleben verurteilt.
    »Ich muß dir etwas sagen, und ich möchte sicher sein, daß du nicht zu betrunken bist, um mich zu verstehen.«

    »Was ist passiert?« fragte Gail ängstlich und verwirrt. »Ist etwas mit Jennifer? Du sagtest doch, Jennifer geht’s gut...«
    »Nein, mit Jennifer hat es nichts zu tun.«
    »Was ist denn dann geschehen?«
    »Ich erhielt den Anruf erst vor ein paar Minuten. Ich hatte grade aufgelegt, aber ich mußte dich sofort verständigen. Die Polizei hat mich benachrichtigt...«
    »Jack, um Gottes willen, was ist los?«
    »Sie haben ihn«, sagte Jack, und Gail verstand nicht gleich, was er meinte. »Den Mann, der Cindy umgebracht hat. Ein Vagabund. Er hat gestanden.«
    Gail spürte, wie sie am ganzen Körper zu zittern begann, jeder Nerv zuckte, und sie konnte einfach nicht mehr stillsitzen. Sie wiegte sich vor und zurück, stand auf und setzte sich gleich wieder hin. Sie wußte nicht wohin mit ihren Händen. Sie schlug mit dem Revolver auf die Bettdecke; im einen Augenblick umklammerte sie den Griff der Waffe, im nächsten fiel sie ihr beinahe aus der Hand. »Gail, hast du gehört? Sie haben Cindys Mörder gefaßt. Er hat gestanden.«
    »Ich komm’ nach Hause«, sagte Gail, und ihre Finger schlossen sich fest um den Lauf des Revolvers. Die Fluggesellschaft würde ihr vielleicht Schwierigkeiten machen, wenn sie die Waffe mit an Bord nehmen wollte. »Ich miete einen Wagen«, fuhr sie fort und dachte, daß sie das Leihauto auch in Livingston würde abgeben können. »In ein paar Tagen bin ich da.«
    »Mit dem Wagen?! Gail, du kannst doch unmöglich die ganze Strecke allein fahren. Das ist viel zu weit für eine Person.«
    »Vergiß nicht, daß ich an lange Autobahnfahrten gewöhnt bin«, entgegnete Gail. »Ich schaff’ das schon, Jack. Glaub mir, beim Autofahren kann ich mich am besten entspannen. Also mach dir keine Sorgen. Sind sie auch sicher, daß sie den Richtigen erwischt haben?«
    Selbst durch die Leitung konnte sie Jacks Verwirrung spüren. »Die Polizei ist sich ganz sicher«, sagte er. »Außerdem hat er ja
gestanden.« Er zögerte. »Paß auf, ich fliege nach Palm Beach, und wir fahren zusammen hoch, wenn du das unbedingt möchtest...«
    »Ich bin in zwei, drei Tagen zu Hause«, unterbrach sie ihn.
    Sie legte den Hörer auf. Dann packte sie ihren Koffer, schob den Revolver in die Handtasche und trug ihre Sachen zum Wagen. Dann fuhr sie ohne Pause durch bis Livingston. Sie schaffte es in vierundzwanzig Stunden.

37
    Als Gail in Livingston ankam, hatte der Vagabund sein Geständnis bereits widerrufen. Er behauptete, man habe ihm seine Rechte vorenthalten und ihn unter Druck gesetzt, damit er das Geständnis unterschreibe. Die Polizei bestritt das. Man habe den Angeklagten in Gegenwart mehrerer Zeugen über seine Rechte belehrt; es sei keinerlei Druck auf ihn ausgeübt worden. Der Mann habe im Gegenteil den Eindruck gemacht, er rede nur zu gern über seine Tat, ja er habe sich fast damit gebrüstet. Jedenfalls, so schloß der Polizeibericht in den Nachrichten, rechne man zuversichtlich mit einer Verurteilung, gleichgültig, ob mit oder ohne Geständnis.
    Gail war zunächst bestürzt über den Widerruf. Sie war in der Hoffnung heimgekommen, daß nun alles geklärt sei und man den Mörder rasch verurteilen würde. Statt dessen war der Fall, der ohnehin viel zu lange unklar gewesen war, noch verworrener als vorher. Wie vor neun Monaten erwartete ihre gesamte Familie sie im Wohnzimmer. Das Déjà-vu-Erlebnis war zwar erschreckend, aber Gail fand es nicht so übermächtig, wie es ihr vielleicht noch vor ein paar Wochen erschienen wäre. Jetzt war sie weder über die Zeit im Zweifel, noch brauchte sie zu befürchten, daß sie die Ereignisse der letzten Monate nur geträumt habe.
Sie wußte jetzt, daß der Alptraum erschreckende Wirklichkeit war und daß sie ihn mit wachen Sinnen durchlebt hatte.
    Vor neun Monaten, dachte sie und war sich der Ironie wohl bewußt, erlebte ich bei meiner Rückkehr aus dem Krankenhaus eine ähnliche Szene. Sie sah ihre Eltern an; die, beiden waren ebenso braun wie damals, wirkten aber nicht mehr so kräftig. Carol zog nervös an ihrer obligatorischen Zigarette. Jennifer saß durchsichtig und blaß zwischen Julie und Mark. Lieutenant Cole unterhielt sich in einer Ecke lebhaft mit Laura und Mike. Jack stand allein am
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