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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug
Autoren: Joy Fielding
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hatten Carol und ihre Eltern neben sich; direkt hinter ihnen saßen Jacks Mutter und Mark Gallagher; seine Frau Julie, die inzwischen hochschwanger war, blieb daheim. Auch Laura und Mike waren da - alle in Reichweite. Nach dem ersten Verhandlungstag hatte Gail Jennifer überredet, Julie Gesellschaft zu leisten. Sie wollte ihrer Tochter die Folter dieses Prozesses ersparen. Es ist so viel geschehen, dachte Gail, während sie in die vertrauten Gesichter neben sich schaute und im Geiste auf die letzten fünfzehn Monate zurückblickte. Still für sich zählte sie alles auf, was sich verändert hatte. Sie waren nicht mehr dieselben Menschen wie früher - sie würden den Rest ihres Lebens für das büßen, was dieser Mann getan hatte.
    Gail sah Jack an, der den Kopf gesenkt hielt und mit seinen Händen die ihren umklammerte. Er hatte sie schließlich doch überredet, an den Treffen des Selbsthilfeverbandes der Opfer von Gewaltverbrechen teilzunehmen, und als ihre anfängliche Beklemmung sich gelegt hatte, stellte sie fest, daß diese Leute ihr tatsächlich halfen.
    »Wir haben alle den Wunsch, uns zu rächen«, hatte Lloyd Michener ihr versichert, und die Gruppe hatte nickend ihr Einverständnis
bekundet, als der über ein Jahr mit Gewalt unterdrückte Zorn endlich aus ihr herausbrach.
    Die Befreiung von ihrem Haß half ihr, die nächsten sechs Monate zu überstehen. Doch Gail wußte, daß immer noch etwas fehlte, um ihr das Leben wieder erträglich zu machen. Sie hatte gelernt, ihren Zorn anzunehmen, mit ihrer Bitterkeit und ihrer Enttäuschung zu leben, und war sogar zu der Einsicht gelangt, daß ihre Mutter recht gehabt hatte - das Leben ging weiter, mochte man sich auch noch so sehr bemühen, das Rad anzuhalten. Die Zeit war zwar nicht das Wunderheilmittel, als das alle Welt sie pries, aber es gelang ihr immerhin, dem Leben allmählich wieder den Anschein von Normalität zu verleihen, auch wenn es sich noch so sehr von früher unterschied.
    Doch etwas fehlte, etwas nicht Greifbares, das sie nicht in Worte zu fassen vermochte.
    Irgendwann in den letzten sechs Monaten hatten Gail und Jack auf wunderbare Weise wieder zusammengefunden. Sie hatten sich eines Nachts in den Armen gehalten, und ihre Körper waren ganz natürlich wieder eins geworden. Der Ekel und die Scham, von denen sie geglaubt hatte, sie könne sie nie überwinden, waren verschwunden. Zwar wußten sie beide, daß sie einander nie mehr mit der sorglosen Unbeschwertheit früherer Zeiten lieben würden, aber Gail entdeckte überrascht, welch heilsamen Trost der Liebesakt ihr spendete.
    Sie erinnerte sich an die ersten tastenden Erfahrungen ihrer Teenager-Zeit, das erste Erwachen körperlicher Gefühle, das erste Entzücken über die Berührung durch einen Mann, die beglückende Seligkeit, sich einem geliebten Menschen hinzugeben. Cindy waren all diese Erlebnisse verwehrt worden. Sie durfte nie erfahren, welche Zärtlichkeit in der Vereinigung von Mann und Frau liegen kann.
    Der Coroner, der in Fällen gewaltsamen Todes die Untersuchungen leitet, bezeugte, Cindy sei zum Zeitpunkt der Vergewaltigung bewußtlos gewesen. Der unmittelbare physische
Schmerz war ihr also erspart geblieben. Gail seufzte hörbar, als sie das hörte. Tränen tropften in ihren Schoß.
    Sie betrachtete die Geschworenen. Nach dreitägigem erbittertem Feilschen zwischen Anklagevertreter und Verteidigung hatte man schließlich acht Männer und vier Frauen nominiert. Obwohl sie in der Gruppe ebenso unauffällig wirkten wie der Angeklagte, war doch jedes einzelne Mitglied des Ausschusses mit größter Sorgfalt ausgesucht worden. Die Verteidigung hatte erbittert - und mit Erfolg - darum gekämpft, keine Mütter auf der Geschworenenbank zuzulassen. Ihr einziges Zugeständnis war eine Frau, deren Kinder, zwei Söhne, schon fast erwachsen waren.
    Von den drei übrigen Frauen war die jüngste geschieden, die beiden anderen, eine davon Zahntechnikerin und im gleichen Alter wie der Angeklagte, waren ledig.
    Die Männer hatte man gleichermaßen unter die Lupe genommen und wenn irgend möglich Väter kleiner Mädchen ausgesondert. Die einzige Ausnahme bildete ein junger Mann, dessen Tochter noch ein Baby war. Die Verteidigung hatte sich bei der Auswahl der Geschworenen auf beruflich besonders engagierte Bürger konzentriert, die nur wenig Zeit fürs Familienleben erübrigen konnten.
    Gails Blick wanderte von einem der zwölf ernsten Gesichter zum anderen. Sie wirken aufgeregter als der Angeklagte,
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