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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
Autoren: W Mass
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nicke. »Dad hat gesagt, ich soll dir das weitergeben.« Ich trete zu ihr und nehme sie ganz fest in die Arme. Obwohl ich nass bin und garantiert den Gestank des Sees angenommen habe, hält sie mich umarmt, bis Lizzy sich räuspert und sagt: »Ähem, können wir bitte mal alle meine Spielkarte anschauen?«
    Als Nächstes gehe ich zu Grandma und nehme sie an Dads Stelle in die Arme. Ich habe immer gewusst, wie schwer es für mich war, meinen Vater zu verlieren, und für meine Mutter, ihren Mann zu verlieren, aber ich habe nie groß darüber nachgedacht, wie schwer es für Grandma gewesen sein muss,
ihr Kind zu verlieren. Ich drücke sie besonders fest. Ich werde ihnen ganz bestimmt verraten, was in der Kassette war, aber noch nicht jetzt. Ich muss noch ein paar Dinge klären. Eine Menge Dinge.

    Als unser Zug am Samstagmorgen wieder in die Penn Station einfährt, wende ich mich an Mom und sage: »Ich muss ein paar Stunden weg und etwas erledigen. Ist das okay?«
    »Jetzt gleich?«, fragt sie. »Willst du nicht erst nach Hause und auspacken? Die Fische füttern?«
    Ich schüttle den Kopf. »Mr Muldoun hat sie sicher nicht eingehen lassen. Oder einen ausgetauscht, ohne mir etwas zu verraten.«
    Mom errötet. Das ist ein alter Witz zwischen uns, denn eines Tages ist Hamster gestorben, während ich in der Schule war, und Mom hat einen anderen Fisch gekauft, der wie Hamster aussah, und hat ihn als den echten auszugeben versucht. Sie hatte nicht mit meiner geradezu unheimlichen Beobachtungsgabe gerechnet.
    Einer der Zugschaffner hilft uns, unser Gepäck auf den Bahnsteig zu befördern. »Wie willst du dorthin kommen, wo du hinwillst?«, erkundigt sich Mom.
    Das habe ich mir schon zurechtgelegt. »Mit dem Bus. Ich habe genau passendes Kleingeld.«
    »Allein?«, will Lizzy mit misstrauisch geneigtem Kopf wissen.
    Ich nicke.
    »Du willst uns nicht verraten, wohin du fährst?«, sagt Mom.

    »Wenn du nichts dagegen hast, lieber nicht.«
    Sie macht den Mund auf und will etwas sagen, klappt ihn aber wieder zu. Mit einem merkwürdigen Blick, den ich nicht recht deuten kann, sagt sie nur: »Sei pünktlich zum Abendessen zurück.«
    »Erst helfe ich euch noch, den ganzen Kram hier in ein Taxi zu verfrachten«, erkläre ich und packe die Handgriffe von meinem und Moms Koffer. Während der ganzen Zeit, in der wir durch den Bahnhof gehen, wirft Lizzy mir von der Seite Blicke zu. Ich weiß, dass sie brennend gern Fragen loswerden möchte.
    Ich helfe dem Taxifahrer, sämtliche Gepäckstücke im Taxi zu verstauen, und behalte bloß meinen Rucksack bei mir. Als die anderen weg sind, hole ich tief Luft und gehe zur Straßenecke. Der Bus, den ich brauche, müsste mich zwei Häuserblocks vom Ziel entfernt absetzen. Beim Warten klimpere ich mit den Fünfundzwanzig-Cent-Stücken in meiner Tasche. Als der Bus hält, weiß ich genau, was ich zu tun habe. Ich werfe meine Münzen in den Schlitz und setze mich auf den nächsten freien Platz. Ich schaue mich um. Diesmal kein Knobiman. Samstags sind die Fahrgäste völlig andere. Keine Aktentaschenmenschen.
    Als der Bus meine Haltestelle ansteuert, recke ich mich nach oben und will den Haltestreifen drücken, aber jemand anders ist schneller. Ich steige mit ein paar Leuten aus und alle gehen in die meiner eigenen entgegengesetzte Richtung davon. Eine Frau mit einem Pudel auf dem Arm läuft vorbei. Beide tragen die gleichen Sonnenbrillen. Lizzy hätte ihren Spaß daran gehabt.
    Es gibt nur eine Person, die wusste, welche Karten Lizzy fehlten. Und es gibt nur eine Möglichkeit, wie die bewusste
Karte in die Kassette gelangt sein kann. Ohne zu zögern, marschiere ich auf die Tür zu und klingle.
    Als sich die Tür öffnet, frage ich: »Seit wann hatten Sie die Schlüssel?«
    Mr Oswald lächelt. »Kommen Sie herein, Jeremy. Ich habe Sie erwartet.«
    Er führt mich durch das inzwischen leere Haus nach draußen auf die Gartenveranda. Dann zieht er einen Umschlag aus der Tasche und legt ihn vor sich auf den Tisch. Mein Name steht in Druckbuchstaben darauf. Er macht keine Anstalten, den Umschlag zu mir herüberzuschieben.
    »Ich hatte die Schlüssel, seit Ihr Vater verstorben ist«, sagt er.
    »Aber wie kann das sein? Mein Dad hat sie meiner Mom hinterlassen, die hat sie an Harold Folgard weitergegeben und er hat sie schließlich verloren.«
    Mr Oswald schüttelt den Kopf. »Es existiert kein Harold Folgard. Ihre Mutter hat mir den Schlüssel und die Kassette geschickt.«
    Damit hatte ich nun wirklich nicht
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