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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
Autoren: W Mass
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mussten gewisse Anpassungen vornehmen, die auf Ihren Aktionen beruhten. Doch falls einige wichtige Ereignisse nicht eingetreten wären, hätte Ihre Mutter sich darum gekümmert, die Sache in eine bestimmte Richtung zu lenken.«
    Wer hätte gedacht, dass Mom eine so gute Schauspielerin ist?
    »Ich hoffe, Sie verzeihen uns allen die Rollen, die wir gespielt haben.«
    »Ich bin einfach nur geschockt, dass so viele Leute bereit waren, so viel für mich zu tun. Und für Lizzy auch. Sie hat ja genauso tief da drin gesteckt wie ich.«
    »Glauben Sie mir, jeder Beteiligte hat in irgendeiner Weise von der Operation Jeremy Fink und der Sinn des Lebens profitiert.«
    Ich muss lachen. »So haben Sie das genannt?«

    Er lacht ebenfalls und nickt.
    Doch dann fällt mir schlagartig noch etwas ein und ich höre auf zu lachen. »Wenn mein Dad diese ganze Sache so ausgetüftelt geplant hat, muss er wirklich überzeugt gewesen sein, dass er nicht mehr dabei sein würde.«
    Mr Oswald seufzt tief. »So war es wohl. Und er wollte Ihren dreizehnten Geburtstag unvergesslich werden lassen.«
    »Er war ganz bestimmt unvergesslich. Dieser gesamte Sommer war es.«
    »Gut«, sagt Mr Oswald, schiebt seinen Stuhl zurück und steht auf. »Nachdem meine Aufgabe jetzt erledigt ist, sollte ich zusehen, dass ich den nächsten Flug nach Florida bekomme.«
    Ich springe auf. »Sie gehen wirklich weg? Das gehörte nicht bloß zur Geschichte?«
    Er lächelt. »Ich gehe wirklich weg. Tatsächlich haben Sie mich gerade auf dem Sprung erwischt.«
    Ich runzle die Stirn. »Aber was wäre gewesen, wenn ich Sie nicht mehr hier getroffen hätte? Wie hätte ich das alles dann erfahren?«
    Er greift nach dem Umschlag mit meinem Namen darauf und gibt ihn mir. »Hier steht alles drin. Mitsamt einem kleinen Abschiedsgeschenk von mir für Sie.«
    In meinem Hals bildet sich wieder der altbekannte Kloß. »Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Ihnen bedanken soll für alles, was Sie getan haben.«
    Er legt mir die Hand auf die Schulter und wir gehen ins Haus und zur Tür. »Schreiben Sie mir hin und wieder eine Postkarte, einverstanden? Und Lizzy auch. Meine Adresse habe ich dort in dem Brief angegeben.«
    »Klar.«

    Ich trete auf die Eingangstreppe hinaus und erwarte, dass er mir folgt. Was er aber nicht tut. Er bleibt im Haus, eine Hand an der Tür. »Und, Jeremy …«
    »Ja?«
    »Vielen Dank.«
    »Sie bedanken sich bei mir? Wofür denn?«
    »Dafür, dass Sie mir gestattet haben, die Welt für ein paar Wochen durch Ihre Augen zu sehen. Sie haben Großes vor sich.«
    Ich weiß, dass ich inzwischen zu alt bin für so etwas, aber ich kehre ins Haus zurück und umarme Mr Oswald. Dann wende ich mich ab und renne die Treppe hinunter, bevor ich noch gefühlsduseliger werde. Als ich Mr Oswald die Türe schließen höre, drehe ich mich um. Direkt vor seiner Eingangsterrasse stehen ein paar kleine, mit weißen Steinen eingefasste Büsche. Ich lese einen Stein auf und vergrabe ihn tief in meiner Tasche. Stein Nr. 1: Aufgelesen an dem Tag, als mir bewusst wurde, dass Liebe stärker ist als der Tod und dass Menschen, die man kaum kennt, einen zum Staunen bringen können, 13.
    Auf dem Weg zur Bushaltestelle kommt mir etwas, was Mom direkt nach dem Eintreffen der Kassette gesagt hat, wieder in den Sinn. Sie sagte, Dinge müssten exakt so passieren, wie sie eben passieren. Zu dem Zeitpunkt erschien mir das so klar, dass ich nicht besonders darauf achtete. Aber jetzt, nach all den verschlungenen Wegen, die nötig waren, um mich von dem Tag, an dem ich im Laden meines Onkels herumlungerte, bis zum heutigen Tag zu bringen, ergeben diese Worte plötzlich irgendwie einen Sinn. Ein Gefühl des Friedens durchflutet mich, wie ich es bisher kaum kannte. Auch ein Gefühl der Kontrolle über mein Leben. Jede Entscheidung, die ich getroffen
habe oder die Lizzy getroffen hat, wurzelte darin, wer wir waren und was wir wollten. Das ist alles, woran ich mich auch später halten muss, und ich brauche mir gar nicht so viele Gedanken um die Wahl zwischen Richtig und Falsch zu machen, weil es gar kein Richtig und Falsch gibt, es gibt nur das, was IST. Und wenn mir das Ergebnis nicht gefällt, entscheide ich eben neu.
    Und warum nicht gleich damit anfangen? Mit der U-Bahn wäre ich viel schneller zu Hause als mit dem Bus. Einen Block von hier ist eine Station; ich erinnere mich, dass ich sie gesehen habe, als der Bus vorbeifuhr. Als ich in die Nähe komme, werde ich allmählich etwas nervös, aber ich gehe
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