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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag
Autoren: Elisabeth Rapp
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gelaufen. Mit Keath auch. Jetzt würde er gern mit Nora das Wort Be-geh-ren nicht nur buch-sta-bieren, sondern wild prak-ti-zieren. Mehmet ahnt, vermutet, befürchtet, dass Keath, sein Freund aus Kita-Zeiten, das auch will.
    Dali kennt das Lied nicht und lacht, bis sein Bauch vibriert.
    »Wer hat abgeschlossen?« Mit der Erinnerung an die Sicherheitsanordnung des Chefs versucht Mehmet die andern von ihrem Gesang abzubringen.
    Seitdem Investoren die letzten Hinterhöfe entkernen und mit teuren, hässlichen Kisten zuknallen, sind erschwingliche Immobilien auf St. Pauli rar geworden. Auf den Musikclub hat es eine Serie von Übergriffen gegeben, die auf das Konto von Dennis, Sandro und Ron gehen, der Pitbull-Gang, die sich im Kiez-Milieu Achtung verschaffen will. Statt des Clubs wollen sie einen Lapdance-Schuppen aufziehen. Von denen gibt es in der Nachbarschaft mehr als genug, aber das ist ihnen egal. Ihr Businessplan steht fest und sieht vor, andere – vorzugsweise Mädchen – für sich schuften zu lassen. Die kahlen Hundehalter sind von dem Schlag, die als Jungs in den Briefkasten der alten Nachbarin gepinkelt haben und in der Schule immer auf den Stullen der Kleinen rumgetrampelt sind. Auf dem Arbeitsamt sind sie diejenigen, wegen denen der Vermittler noch zehn Nummern danach Sadist ist.
    Nora grübelt, kann sein, dass sie die Tür nur zugezogen hat. »Bei über vierzig Grad im Schatten kriegen die ihre Kampfhunde nicht auf die Straße«, hofft sie.
    »Hotdogs hoasn die«, grinst Dali, zuckt aber zusammen, als in
diesem Moment die Tür ins Schloss knallt. Sein Zusammenstoß mit Sandro liegt Wochen zurück, und weitere Konfrontationen will er lieber vermeiden. Zu Dalis Erleichterung sind die Schritte, die den Vorraum durchqueren, leicht und schnell.
    »Dreist, dreister, Maika«, kräht Luca, der Eislieferant, in kurzen Hosen, ein in der grammatikalischen Kunst der Komparation bewanderter zehnjähriger Knabe.
    Maika ist zu schwach, um nach ihm zu schlagen.
    »Die Sahne ist gratis, sagt Rinaldo.« Luca stellt die Tüte auf Maikas Bauch ab.
    »Was kriegst du?«
    »Venti«, sagt Luca und schnipst mit den Fingern. »Ohne Lieferung.«
    Maika blickt fragend Dali an. Er sagt: »’n Zwanni, ohne Lieferung«, und rührt sich nicht.
    Alle sehen sonst wohin. Maika ist dran, kein Weg führt daran vorbei, das ist ihr klar, und sie zahlt. Allein, um ihr künftiges Weiterschnorren nicht zu gefährden. Nach matt vorgetragenen Protesten der anderen, legt sie einen Euro Trinkgeld drauf. Mehmet fixiert sie so lange, bis sie noch einen lockermacht.
    »Grazie tante!« Luca zischt ab.
    »Das heißt danke schön, Tante Maika. Nimm die Tüte vom Bauch, bevor das Zeug schmilzt.« Die Aussicht auf Eis hat Dali wieder fit für den schriftdeutschen Sprachgebrauch gemacht.
    Sahne wird vom Einwickelpapier geschlabbert und außer genüsslichen Hhms und Mmms und Ahs sagt keiner was. Mehmet legt Sunshine von Patrice auf, und Nora wackelt im Schneidersitz mit den Füßen im Takt. Maika zupft an ihrem Top und denkt, ich wär auch gern so zierlich. Obwohl, wenn sie in sich geht, vielleicht auch nicht. Auf ihre eindeutig weiblichen Attribute
will sie keinesfalls verzichten. Sie sieht Dali an, der als Einziger sein Eis auf dem Bauch liegend löffelt. Der Bayer hat eindeutig abgenommen, fällt ihr auf, wo sie gerade über ihre Traumfigur grübelt. »Machst du Schlaf dich schlank?«, fragt sie ihn mit vollem Mund. So heißt der Titel des Schlankheitsratgebers auf dem Kopfkissen ihrer Mutter.
    »Was? Schlag dich schlank?« Nora reißt entsetzt die Augen auf. »Du machst ’ne Masochistendiät?« Ungläubig starrt sie Dali an.
    Der nickt. Durch Schufterei Fett verlieren, das könnte man so bezeichnen.
    Keath und Mehmet kichern, und Maika will sich nicht wiederholen. Hart genug, dass Anja, ihre Mutter, neuerdings versucht, mit Schlaftabletten von ihrer Alkoholsucht loszukommen, und obendrein im Schlaf abnehmen will.
    Da von Maika keine Reaktion kommt, stellen sich die anderen vor, wie sie durch beharrliche Schläge auf sich selbst Pfunde weghauen, bis der Genuss des Eises vorm inneren Auge lustvollere Bilder aufkommen lässt. Mehmet träumt vom Duschen mit Nora, Keath träumt von einem Bad – auch nicht allein –, Dali von einem kalten Bier in der Hand seiner nackten Kunstreferendarin, die er in seinem Atelier malt. Nora träumt nichts Konkretes, bis sie einen Blick von Keath einfängt und von ihm träumt.
    In diese friedlich chillende Atmosphäre
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