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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag
Autoren: Elisabeth Rapp
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platzt Leif Borg und brüllt aus dem Vorraum: »Die Tür ist auf!«
    Der Chef ist noch nicht zu sehen, aber seine Verärgerung ist schon zum Greifen nahe.
    »Ich schließ ab.« Maika steht auf und schlendert mit ihrem Eisbecher an der Bar vorbei.
    Zum x-ten Mal beobachtet Nora ein Phänomen, das immer dann auftritt, wenn sich Maika einem gegengeschlechtlichen
Wesen nähert. Ihre Beine werden länger, der Busen wird größer, der Bauch flacher, die Hüften verschieben sich aus der Mitte heraus langsam nach rechts und links wie das Winken der englischen Queen, bloß dass Maikas Hüftewinken Testosteronausschüttungen zur Folge hat. Manga-Maika-Hydraulik nennt Nora die Technik und hat sie geübt, stundenlang, heimlich. Doch als Vorwärtsbewegung taugt es nicht für sie, also ist sie in ihren Heckenschützenschritt zurückverfallen. Sie flitzt, statt zu gehen, hastet, anstatt im Wiegeschritt die Hüften auspendeln zu lassen, und düst mit dem Rad um die Häuser, anstatt zu flanieren. Lichtjahre, nicht schlappe anderthalb Jährchen, liegt sie in ihrer femininen Entwicklung hinter Maika zurück. Allein, wie Maika an der Bar mit Kerlen plaudert. Ironisch, im Zeitlupentempo, absolut unnachahmlich. Wie macht sie das? Jeder glaubt unweigerlich, dass sie ihn für DEN Loverboy hält. Auf das Signal fahren alle voll ab. Auch Leif, der mitsamt Fahrrad hinter der Bar auftaucht und mit einer Drehung seines verschwitzten Kopfs den Clubraum plus seine auf dem Boden ruhenden Arbeitskräfte einscannt. Ein Anblick, der den Chef, der aus der Hitze kommt, provoziert. Sein eisiger Blick friert die Chillenden ein.
    Maika folgt seinem nassgeschwitzten Rücken Richtung Büro und schlägt vor: »Wir brauchen ’ne Eisbox. Das wird ’n Bombengeschäft.«
    »Damit das klebrige Zeug aufm Boden festgestampft wird? Niemals«, hört Nora ihn schnauzen, bevor die Bürotür ins Schloss fällt.
    Leif lässt sich aufs Sofa fallen und wischt sich den Schweiß ab. Im Normalfall hätte er bei dem Wetter sein Baby, den BMW M 5er, genommen und wäre mit geöffnetem Fenster und heraushängendem Arm in aller Ruhe zum Club gefahren und nicht
mit dem Rad den Berg hochgehastet, bis er ölt wie ein fiebriger Heizer. Im Normalfall. Aber normal ist nichts mehr, seitdem die vollgedröhnten Arschlöcher mit ihren Pitbulls ihm einen Drohbrief geschickt haben. Er hängt an der Pinnwand, mit dem Brieföffner aufgespießt.
    BORG.
DU KRIEGST ÄRGER.
DU DENKST DU HASTN SCHIKEN BMW M 5ER. DA DENKST DU FALSCH.
DEIN AUTO IST SCHROT, SCHROT, SCHROT!
DU DENKST DU HASTN CLUB. ABER DER CLUB IST UNSER CLUB!
BESSER DU KAPIERST.
SAG TSCHÜSS ZU DEINER KARRE UND ZU DEINEM CLUB.
ODER KRIEG.
WIE DU WILLST
    Trotz vorsichtiger Recherchen hat Leif nicht herausbekommen, ob ihm die Pitbull-Gang den Rechtschreibtest im Auftrag der Kiez-Größen geschickt hat, oder ob sie sich unautorisiert aus dem Fenster leht. In diesem sensiblen Milieu ist es nicht klug, schlafende Hunde zu wecken, und Leif ist keiner, der Muskeln spielen lässt. Lieber lässt er Musik spielen, das ist sein Job, und für Newcomer-Bands hat er einen Riecher. Der Club ist Kult in der Undergroundszene, doch das geht ihm zurzeit am Arsch vorbei. Er fühlt sich ausgebrannt, müde und klammert sich ans junge Gemüse. Das ist ihm klar und Maika auch, aber ihre ewig abgedrehte Mutter gibt ihr noch weniger Halt. »Willst du ’n Wasser?«
    Leif wackelt vage mit dem Kopf. Maika interpretiert das als Ja.

    Allein gelassen in seinem Büro, wird er das Gefühl nicht los, sich verlaufen zu haben. Seitdem hier regelmäßig aufgeräumt wird, findet er die Rechnungen zwar schneller, aber er hat immer gern in seinem Chaos gekramt. Dabei ist er dann auf dies und das gestoßen, und das war für ihn eine willkommene Ablenkung von dem nagenden Gefühl, mit seinem Leben noch einmal was Neues anfangen zu sollen. Zuoberst auf dem Rechnungsstapel liegt die Abrechnung seiner 400-Euro-Jobber. Was über die festgelegten Stundenzahlen hinausgeht, zahlt Leif bar aus. Mehmet hat die Abrechnung gemacht und kassiert am meisten, weil er seit einem Monat die Soundtechnik macht und nicht nur das. Wenn er achtzehn ist, sollte ich ihn fest einstellen, grübelt Leif. Mehmet kennt den Laden, er kann sich hundertprozentig auf ihn verlassen und sich noch mehr aus dem laufenden Alltagsgeschäft raushalten. Oder soll er doch verkaufen?
    »Hallo«, sagt Maika und lässt die Eiswürfel klirren. Seit einer Weile wartet sie mit dem Wasserglas, in das sie sogar ein Stück
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