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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag
Autoren: Elisabeth Rapp
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liegt zwischen Nora und Maika.
    »Maika.« Mehmet fühlt sich ausschließlich für kulinarische Lieferungen nach der Tradition des Morgenlandes zuständig.
    »Keiner kriegt mich da raus«, sagt Maika. Schluss, aus, kein Lieferservice mehr. Sie hat schon für ihre Mutter Flaschen vom Getränkemarkt in den vierten Stock schleppen müssen.
    »Ich würde gehen, aber ich hab die Weiberlokusse geputzt. Im Eis vermehren sich Mikroben lawinenartig. Kann ich nicht riskieren, Leute. Damit ist nicht zu spaßen«, heuchelt Nora schlapp.
    »Das nenn ich Verantwortungsbewusstsein«, sagt Keath, der die Männerklos sauber gemacht hat.
    Dali spürt vier bohrende Augenpaare auf sich gerichtet und wendet den Blick nicht von der Decke mit den kreisenden Ventilatorenblättern, die unermüdlich die Hitze im Raum verteilen. Seitdem er Teil der Putzgang ist, hat ihm die Schinderei vier Kilo von den Rippen gerissen, und darüber ist er einfach nur glücklich, aber das geht nicht so weit, dass er freiwillig in die Affenhitze
hinaustrabt und das letzte bisschen Wasser verschwitzt, das ihm noch nicht von der Stirn getropft ist. Mit dem Rücken am Boden festgeklebt, wartet er auf die Rückkehr seiner Lebensgeister. Ein kleiner, cooler Geist würde schon reichen.
    »I soi ’m Chef an Coverentwuaf fir ’d Club-Compilation zoang.« Dali ist zu erledigt, um an hochdeutschen Formulierungen zu drechseln. Was er meint, ist, dass er noch seinen grafischen Verpflichtungen nachkommen muss, für die er schwarz bezahlt wird. »Normal missad dea scho lengst do sei.«
    »Faule Säcke«, murmelt Maika und fischt ihr Handy aus der Tasche. Unter Ri wie Rinaldo bestellt sie »fünf Riesenbecher für den Sound Club, pronto«.
    Das Saxofonsolo verklingt. Die fünf liegen sternförmig auf dem Rücken. Nora dreht den Kopf und sucht nach einer bequemeren Lage. »Kann mir jemand was unter den Kopf schieben?«
    »… und Eisbeutel holen?«, ergänzt Maika.
    Kein Wunsch wird erhört. Auch das erlösende Gewitter bricht nicht los, obwohl alle darum betteln. Seit Tagen liegt die Hitzewelle wie eine heiße Fangopackung auf der Stadt. Würden alle unter Anleitung von Keath einen Regentanz tanzen, mit Macht und Inbrunst, dann könnte es zu Wolkenbildungen kommen. Nora überlegt laut weiter: »Nehmen wir mal an …«
    »Stopp! Nicht laut denken.« Maika fürchtet sich vor Noras verworrenen Gedankengängen. Ihr Gehirn verknotet sich davon.
    »…wenn 800 000 Fans in Polyester-Schlaghosen beim Schlagermove mit der Schlagerkarawane vom Heiligengeistfeld durch die Hafenstraße und wieder zur Reeperbahn zurückrocken, dann die Kunsthaarperücken ab- und die Knautschlackstiefel mit den Plateausohlen ausziehen …«
    »Halt um Himmels willen die Klappe!«, stöhnt Maika.

    »… und ihre Blasen aufstechen. So um die 800 000 Blasen. Da steigt doch ein immenser Dampf zum Himmel auf. Das muss doch Niederschläge auslösen«, vollendet Nora ihre Utopie von zukünftiger Erfrischung.
    »Ja, i stimm unsrer geschätzten Meteorologin, der Lewandowskalingerin zua, wenn dann ano a Million-Liter-Fassbier und Caipis aufm Asphalt und an de Hausecken verdampfn, dann geht a geniales Donnerwetter auf uns nieada«, sagt Dali sehnsüchtig.
    »Das ist in vier Wochen, Leute, und der Move heißt neuerdings EFDL. Ein Festival der Liebe, nicht EFDS, Ein Festival der Schirme.« Mehmet überlebt die alljährliche Hossa-Hossa-Beschallung des Kiezes nur mit Kopfhörer. »Hitzeluschen, Nordlichter, ihr …«
    »Ho, ho«, lässt sich Keath vernehmen. Er nimmt die größte Bodenfläche ein. Zwei lange, dunkle Meter, halfcast. Sein Vater ist Nigerianer, die Mutter gebürtige Kielerin. Er kann jede Temperatur ab. Mit geschlossenen Augen stimmt er die Roland-Kaiser-Ballade an, die nie beim Schlagermove fehlt und seit vielen Jahren aus den Lautsprechern der Eisbahn schallt. Es gibt kein Kiezkind, das dieses Lied nicht auswendig kann.
    Auf den Charts von Mehmets Hassliedern steht es auf Platz eins.
    »Manchmal möchte ich schon mit dir
    eine Nacht das Wort Be-geh-ren buchstabieren …«
    »Aufhören!«, fleht Mehmet.
    Keath fasst Maika und Nora an den Händen. Ein Herzschlag setzt bei Nora aus, dann johlt sie mit:
    »Manchmal möcht ich so gern mit dir,
    doch ich weiß, wir würden viel zu viel riskieren.«
    »Bitte!« Mehmet bettelt umsonst. Dreistimmig schwillt der Refrain an.

    »Du verlierst den Mann,
    ich verlier den Fre-eu-eund …«
    Vor drei Jahren ist Mehmet mit Nora zu der Schnulze noch Schlittschuh
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