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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag
Autoren: Elisabeth Rapp
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Putzjob geteilt, bis er vom Chef, Leif Borg, die gesamte Soundtechnik aufgebrummt bekommen hat. Die Clubreinigung ist daraufhin auf alle 400-Euro-Jobber umverteilt
worden. Nora hält Mehmet für einen genialen DJ. Er nennt sie liebevoll Kampfzwerg. Liebevoll, voll Liebe. Und in dem Dreieck Job/Freund/liebevoll steckt das fatale Konfliktpotenzial. Nora hat Keath erst beim gemeinsamen Putzen richtig kennengelernt. Vorher war er nur für den Kartenverkauf und Einlass zuständig. Er ist auf der Längswand porträtiert, beim Tanz mit ihr. Nicht mal das Bild kann sie ansehen, ohne dass sie schwach wird. Sieht Keath sie an, kriegt sie Herzrasen. Diese Wirkung hat er auf ALLE. Wo er auftaucht, fliegen die Weiber auf ihn. Er ist ein Magnet, Nora eine Kreditkarte. Wenn sie in seiner Nähe ist, sind ihre Daten weg, nicht mehr lesbar, nicht von ihr. Sie mutiert zum Huhn. Er ist erwachsen, ein langer Kerl mit souveränen Interessen. Und er ist schön, ein Tänzer. Jetzt zieht er sein T-Shirt aus. Nicht hingucken. Nora stöhnt.
    »Verröchelst du?«, fragt Maika grinsend.
    »Nein, das war … Yoga-Vollatmung.«
    Auf der Wand zwischen der Frauen- und Männertoilette ist Maika als Manga-Girl auf einer brennenden Giraffe mit Schubladen im Schenkel abgebildet. Es war Dalis erstes Grafto, hat ihm Hausverbot eingebracht, aber Maika hat es für ihn in Aufträge, und zwar in bezahlte Aufträge, verwandelt. Die Gabe hat sie. Und außerdem ein Techtelmechtel mit dem Chef. Wie weit das geht, will sich Nora nicht vorstellen. Leif Borg, der Clubbesitzer, ist fast so alt wie ihr Vater.
    Leifs Porträt hat Dali auf eine Stellwand gesprüht. Er sieht sich nicht wirklich ähnlich. Dali hat ihn deutlich attraktiver gemacht und seinen Augen einen feurigen Ausdruck verliehen. Das hat auch ihm einen 400-Euro-Job im heißesten Musikclub auf dem Kiez verschafft. In Wirklichkeit ist Leif weniger feurig, ersteckt mitten in der Midlife-Krise, und alle reißen sich ein Bein aus, damit
er möglichst nicht einmal in die Nähe des Gedankens gelangt, den Club zu verkaufen. Wobei Maika sich lieber die Zehennägel lackiert, als zu schuften, obwohl auch sie an ihrem Job hängt. Nach dem Putzen macht sie die Bar bis um zehn, dann wird sie von Lars abgelöst. Er gehört nicht zur Destructive Pressure Putzgang und ist, bis der Laden dichtmacht, ausschließlich für den Ausschank zuständig. Gut für ihn, denn er scheut das Tageslicht. Seine Ähnlichkeit mit Homer Simpson ist in Echt noch auffälliger als auf seinem Bild, das sich auf der Rückseite der Bar befindet.
    Dali, der Graftikünstler, ist vor sechs Wochen aus seinem bayerischen Heimatkaff nach Hamburg gezogen. Unfreiwillig. Berufliche Gründe der Eltern haben ihn ins Exil gezwungen. Für ihn hat sich das als vierfacher Glückstreffer herausgestellt: Der Club, die Freunde, ein Job und die Kunstreferendarin …
    Und was ist mein Glück, fragt sich Nora. Keath ist mein Glück, der Club ist mein Glück und dass hier niemand ahnt, dass ich mit vollem Namen Priscilla Maria Nora Lewandowska heiß. Das sind schon drei Glückstreffer. Die Namensgebung ihrer Mutter, Vorsitzende des Elvis Presley Fan Clubs Europe und Elvis-Fan in der zweiten Generation, hat sie seit dem Wegzug aus Polen korrigiert. Seit sechs Jahren wohnt sie in St. Pauli und wird von Elvis-Witzen verschont. Bis zum neunten Lebensjahr hat sie alle schon gehört. Jetzt peinigen sie nur noch Restwitze, die durch den Online-Versandhandel mit Elvis-Devotionalien provoziert werden, den sie neben Schule und Job auch noch an der Backe hat, obwohl es eigentlich das Geschäft ihrer Mutter Yolanda ist. Und weil sie gerade am Ablegen hinderlicher Bürden ist, fiebert sie der nahen Zukunft, ihrem sechzehnten Geburtstag, entgegen. Dann wird alles anders werden, dann wird die Nacht zum Tage …

    »Hallo! Wach auf!«
    »Was?«
    »Was dagegen, wenn ich leiser mache?«
    Nora schüttelt den Kopf, und Mehmet dreht die Lautstärke der alten Café Del Mar -Scheibe runter. Auch er verzichtet mittlerweile auf Oberbekleidung. Maika hat sich bis aufs Top entblättert. Schweigend wischen sie vor sich hin, ohne jede Motivation für das übliche Kampfputzen. Die Bestzeit liegt bei 22,42 Minuten, alles darunter wäre reines Geschmiere. Oder es hätte eine mies besuchte Clubnacht sein müssen, was selten vorkommt. Aber 40 Minuten zu fünft für die grobe Reinigung haben sie noch nie gebraucht. Platt sinken sie auf den feuchten Boden nieder.
    »Wer holt Eis?«, fragt Keath. Er
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