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Donaugrund (German Edition)

Donaugrund (German Edition)

Titel: Donaugrund (German Edition)
Autoren: Sonja Silberhorn
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EINS
    Der Ernst seiner Lage wird ihm erst bewusst, als er den heftigen Stoß spürt. Er taumelt, versucht, sich abzufangen. Greift ins Leere. Ein zweiter Stoß, der ihn über die Brüstung drängt. Ein dumpfer Schmerz am Oberschenkel. Er verliert das Gleichgewicht. Schreit. Und fällt.
    Er ringt nach Luft. Dabei hat er gerade noch gelacht! Das eiskalte Wasser brennt auf seiner Haut. Ja, brennt! Wie absurd das ist, schießt es ihm noch durch den Kopf. Beweg dich, auch wenn der Fluss über dir zusammenschlägt!
    Alles schwarz … So schwarz, so schwer. Kämpf dich nach oben! Dort oben ist die Luft, die du so dringend brauchst!
    Aber es zieht ihn hinab! Bewegen, bewegen … Sein Geist kämpft gegen die wie gelähmten Glieder. Beweg dich doch! Nach oben, du musst nach oben! Endlich atmen …
    Seine Haut wird von eiskalten Nadeln zerstochen, seine Brust zerbirst, es zieht ihn hinab. Der Strudel, denkt er noch. Ungläubig. Der Strudel hat ihn erfasst. Das brennend kalte Nass, das er verschluckt.
    Das ihn verschluckt.
    * * *
    Mit einem verhaltenen Seufzen stellte Celia Kleingrün die Teetasse ab und wandte sich der unübersichtlichen Excel-Tabelle auf ihrem Monitor zu. Langsam hob sie die Hände und fing an, mit den Mittelfingern behutsam ihre Schläfen zu massieren.
    Schon seit ein paar Tagen fühlte sie sich nicht gut und schrammte, wie so oft um diese Jahreszeit, haarscharf an der Klippe zur Erkältung entlang. Gliederschmerzen, die verhassten Kopfschmerzen, dazu eine alles durchdringende Müdigkeit, sodass sie sich den ganzen Tag, solange sie im Büro saß, in ihr kuschliges Himmelbett sehnte. Doch kaum lag sie spätabends darin, wälzte sie sich von einer Seite zur anderen, und wenn sie doch in den Schlaf hinüberglitt, dann schreckte sie nach ein paar Sekunden wieder hoch, weil sie die Zahlenkolonnen und der unter Bergen unerledigter Arbeit ächzende Schreibtisch bis in ihre Träume verfolgten.
    »Hilft ja nichts«, murmelte sie leise in die Stille und versuchte, sich noch ein letztes Mal zu konzentrieren. Der Zeiger der Uhr stand mittlerweile auf fünf vor elf, und vor dem Fenster, durch das man tagsüber in den Hinterhof blicken konnte, zeichnete sich nur Schwärze ab. »Komm schon«, versuchte Celia sich selbst zu motivieren. »Zusammenreißen.«
    Wenn sie Leo Wollenschläger, der als Marketingchef ihr direkter Vorgesetzter war, die Datei nicht bis spätestens morgen, neun Uhr, zumailte, würde sie in noch größeren Schwierigkeiten stecken als ohnehin schon. Außerdem würde er es sich schon bei fünf Sekunden Zeitverzug nicht nehmen lassen, wie ein Irrer in ihr Büro zu berserkern und lautstark zu wüten. Celia vermied es ohnehin so weit wie möglich, ihm persönlich zu begegnen. Meistens verkehrten sie nur per Telefon oder Mail, und wenn sie sich doch mal auf einem der Flure über den Weg liefen, atmete sie erst auf, wenn er endlich wieder außer Sichtweite war. Zu allem Überfluss hatte er auch noch einen guten Draht zur Geschäftsleitung.
    Ein guter Draht zur Geschäftsleitung … Wieder seufzte sie wehmütig. Den hatte sie bis vor Kurzem auch noch gehabt. Genau gesagt, bis sich vor ein paar Wochen fünfzig Prozent der Geschäftsleitung einfach in Luft aufgelöst hatten.
    Als draußen auf dem Flur eine Bodendiele knarrte, schreckte sie auf. Sie konnte sich der Gänsehaut auf ihren Unterarmen nicht erwehren. Die Firma HEUREKA war in einem sanierten Altbau im Herzen der Regensburger Innenstadt untergebracht. Dass da der behutsam restaurierte Holzboden knarrte, auch wenn niemand darüberschlich, wusste sie doch eigentlich. Trotzdem lauschte sie mit angehaltenem Atem hinaus auf den Flur, aber alles war still. Kein Wunder, die Kollegen waren schon längst nach Hause gegangen, sogar André, mit dem sie sich das Büro teilte und der normalerweise nie eine Gelegenheit verstreichen ließ, mit ihr allein zu sein. Aber sie selbst saß ja auch nur noch hier, weil man in dieser Firma keine andere Wahl hatte, wenn man gerade diejenige Person war, die auf der topaktuellen Abschussliste ganz oben stand.
    Aber sie wollte nicht aufgeben. Vor allem nicht, solange noch ein Funken Hoffnung bestand, dass bald das süße Leben für sie einfach weiterginge wie gehabt. Irgendwo musste er doch schließlich sein!
    Entschlossen klickte Celia ein letztes Mal auf »Speichern«, schloss die Excel-Datei und fuhr ihren Computer herunter. Leo würde seine Zahlen pünktlich bekommen, aber heute hatte das keinen Sinn mehr. Sie würde morgen
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