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Leaving Paradise (German Edition)

Leaving Paradise (German Edition)

Titel: Leaving Paradise (German Edition)
Autoren: Simone Elkeles
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vorn. »Halte dagegen.«
    Seit dem Unfall habe ich nicht mehr zu bieten als ein lächerliches Babydrücken.
    »Komm schon, Maggie. Das kannst du viel besser. Ich spüre kaum etwas.«
    Ich lege mir den Unterarm über die Augen. »Es wird nie besser als das hier werden.«
    »Klar wird es das. Überleg mal, du hast nicht für möglich gehalten, dass du je wieder laufen würdest, und jetzt guck dich an.«
    Ich drücke stärker.
    »Das ist mein Mädchen. Ordne den Schmerz auf einer Skala von eins bis zehn ein, wobei zehn unerträglich ist.«
    »Acht.«
    »Eine Acht?«
    Vielleicht sogar eine Neun.
    »Wenn du jetzt hart arbeitest, wird es sich später auszahlen«, verspricht er.
    Ich gebe keine Antwort, halte aber den erhöhten Druck auf meinem Fuß. Er lehnt sich zurück und legt meinen Fuß ab. Puh, geschafft.
    »Großartig. Jetzt strecke deine Beine aus und beuge sie abwechselnd.«
    Ich beginne mit dem rechten Bein. Der Unfall hat es nicht allzu sehr vermurkst und die Narben sind verheilt. Größtenteils.
    Aber als ich mein linkes Bein beugen soll, fühlt es sich an, als hinge ein Gewicht daran. Ich beuge es Zentimeter für Zentimeter. Allein das Bein anzuheben, bringt mich ins Schwitzen wie einen Langstreckenläufer. Das Wort armselig fasst mein siebzehnjähriges Leben ziemlich gut zusammen.
    »Noch ein bisschen mehr«, sagt Robert, als ich es gerade absenken will. »Wie groß ist der Schmerz auf einer Skala von eins bis zehn?«
    Bevor ich neun antworten kann, klingelt sein Handy. Und klingelt. Und klingelt. »Willst du nicht rangehen?«, frage ich ihn.
    »Nicht, während ich eine Patientin habe. Mach weiter mit dem Beinbeugen, Maggie.«
    »Vielleicht ist es ja etwas Wichtiges«, sage ich hoffnungsvoll.
    »Falls es so ist, wird derjenige mir eine Nachricht hinterlassen. Dr. Gerrard hat mir erzählt, du verlässt uns im Januar«, sagt er, als ich das Bein wechsle.
    »Yep«, erwidere ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich habe ein Stipendium für ein Semester in Spanien bekommen. Wegen der Infektion musste ich den Auslandsaufenthalt noch einmal verschieben.«
    Robert pfeift anerkennend. »Spanien, hm? Du bist ein Glückspilz.«
    Glück? Ich bin kein Glückspilz. Glückspilze werden nicht angefahren und müssen keine schmerzhafte Physiotherapie erdulden. Glückspilze haben keine geschiedenen Eltern und keinen Dad, den sie nur einmal im Jahr sehen. Glückspilze haben Freunde. Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich wahrscheinlich die größte Pechmarie des Universums.
    Ich ertrage die Beinfolter noch weitere zwanzig Minuten. Ich würde so gern abhauen, aber ich weiß, wir sind noch nicht fertig. Das letzte, was Robert immer während der Physio macht, ist, meine Beinmuskulatur zu massieren. Ich ziehe meine Trainingshose aus und setze mich in Shorts auf den Behandlungstisch.
    »Verblasst die Rötung langsam?«, fragt Robert, während er mit behandschuhten Händen eine medizinische Salbe auf mein Bein reibt.
    »Keine Ahnung«, sage ich. »Ich sehe es mir nicht gerne an.« Tatsächlich würde ich mir so ziemlich alles lieber angucken als mein vernarbtes linkes Bein. Es ist hässlich, als hätte ein Zweijähriger mit einem Wachsmalstift rote Linien meine Wade und meinen Oberschenkel hoch und runter gemalt. Aber die Linien sind nicht von einem Wachsmalstift. Sie stammen von den zahlreichen Operationen, die ich nach dem Unfall hatte, den Caleb Becker verursacht hat, weil er betrunken Auto gefahren ist.
    Ich versuche Caleb zu vergessen, aber es gelingt mir nicht. Er hat sich in meinem Kopf eingenistet wie ein Tumor. Gott sei Dank haben wenigstens die Albträume von dem Unfall aufgehört. Sie haben mich über ein halbes Jahr lang gequält. Ich hasse Caleb. Ich hasse, was er mir angetan hat, und ich bin froh, dass er weit weg ist. Ich versuche nicht darüber nachzudenken, wo er jetzt ist. Wenn ich zu viel darüber nachdächte, hätte ich wahrscheinlich auch noch Schuldgefühle. Also denke ich nicht darüber nach und hinke durch das Leben, während ich gleichzeitig die Teile ausblende, die mich zu sehr herunterziehen.
    Während Robert emsig meine Beinmuskeln massiert, verziehe ich das Gesicht.
    »Es sollte nicht wehtun, wenn ich das mache«, sagt er.
    »Tut es auch nicht.« Es ist bloß … Ich mag es nicht, wenn jemand meine Narben berührt. Ich kann mich nicht mal überwinden, sie selbst anzufassen.
    Robert sieht mein Bein prüfend an. »Die tiefe Röte wird mit der Zeit verschwinden. Hab noch ein paar Monate
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