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Leaving Paradise (German Edition)

Leaving Paradise (German Edition)

Titel: Leaving Paradise (German Edition)
Autoren: Simone Elkeles
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fassen, dass ich siebzehn bin und den guten alten Zeiten nachtrauere.
    Einen Block weiter erreichen wir das vertraute zweistöckige Backsteinhaus mit den vier weißen Säulen, die rechts und links die Haustür flankieren. Ich steige aus dem Wagen und atme tief ein.
    Ich bin zu Hause.
    »Also …«, sagt Dad, als er die Tür aufschließt. »Willkommen im Paradies.«
    Ich nicke, anstatt über die Begrüßung zu lachen, mit der die Besucher der Stadt üblicherweise empfangen werden. Ich betrete zögernd den Flur. Hier hat sich im letzten Jahr nichts verändert – das sehe ich auf einen Blick.
    Merkwürdigerweise fühlt es sich nicht wie Zuhause an.
    Es riecht jedoch vertraut. Nach Apfelkuchen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, seit ich diesen süßen, würzigen Duft zuletzt gerochen habe.
    »Ich, äh, geh dann mal in mein Zimmer«, sage ich zu ihnen, aber es hört sich an, als bitte ich um Erlaubnis. Ich habe keine Ahnung, wieso. Es war früher mein Zimmer, es ist nach wie vor mein Zimmer. Also warum verhalte ich mich dann, als wäre dieser Ort hier nur ein Boxenstopp für mich?
    Ich steige die vertraute Treppe hoch, aber ein Anfall von Klaustrophobie packt mich und ich beginne zu schwitzen. Ich wage mich weiter die Treppe hoch und lasse den Blick über den Flur schweifen. Er bleibt an einer schwarzen Gestalt hängen, die im Türrahmen vom Zimmer meiner Schwester lehnt.
    Moment mal.
    Diese schwarze Gestalt ist meine Zwillingsschwester Leah. Es ist nicht bloß ein Trugbild meiner Schwester, sie ist real. Und sie trägt Schwarz von Kopf bis Fuß.
    Schwarzes Haar, schwarzes Make-up. Verflucht, sie hat sogar ihre Fingernägel schwarz angemalt. Goth bis ins Mark. Ein Schauder rieselt meinen Rücken hinab. Es ist schwer zu glauben, dass das meine Schwester sein soll. Sie sieht aus wie eine Leiche.
    Bevor ich Luft holen kann, wirft Leah sich in meine Arme. Dann dringen diese gewaltigen Schluchzer aus ihrem Mund und ihrer Nase und ich muss an meinen Zellengenossen denken.
    Selbst als Richter Farkus mich angewidert ansah und mir sagte, ich würde für meine grobe Fahrlässigkeit und weil ich betrunken Auto gefahren sei, fast ein Jahr weggesperrt werden, habe ich nicht einen Mucks von mir gegeben. Mann, als sie mich zwangen, meine Kleider auszuziehen, und sämtliche Körperöffnungen durchsucht haben, war das unfassbar erniedrigend. Und als Dino Alvarez, ein Gangmitglied von der Southside von Chicago, am meinem zweiten Tag im DOC während des Freigangs zu mir kam und mich in die Mangel nahm, hätte ich mir beinah in die Hosen gemacht. Aber in der ganzen Zeit habe ich nicht einmal geweint.
    Ich tätschle den Kopf meiner Schwester, da ich nicht weiß, was ich sonst machen soll. Ich hatte im vergangen Jahr kaum Körperkontakt und habe mich während der dreihundert Tage und Nächte in meiner Zelle danach verzehrt. Aber jetzt, wo ich meine eigene Schwester im Arm halte, habe ich das Gefühl, mir wird die Luft abgeschnürt.
    »Ich brauche ein bisschen Ruhe«, sage ich, dann schiebe ich sie sanft von mir weg. Was ich wirklich brauche, ist eine Pause von diesem alten/neuen Bollwerk Familie in meinem Leben.
    Als ich in mein Zimmer gehe, knarzen die dunklen Holzdielen unter meinen Füßen. Das Geräusch hallt in meinen Ohren nach.
    Es ist das Zimmer eines Kindes, denke ich bei mir. Sporttrophäen und mein Anakin Skywalker Lichtschwert sind noch immer auf dem Bücherregal, wo ich sie zurückgelassen habe, und über meinem Bett ist mit Nägeln ein Wimpel der Paradise-Highschool befestigt. Verdammt, sogar das Foto von Kendra in ihrer Cheerleaderuniform hängt noch an meinem Kopfende, als wären wir nach wie vor ein Paar.
    Ich habe sämtliche Verbindungen zu ihr gekappt, als ich verhaftet wurde. Kendra ist ein verwöhntes Töchterchen aus gutem Hause, eine Diva, und sie wäre angewidert von den Leuten, mit denen ich das letzte Jahr verbracht habe. Ich sehe bildlich vor mir, wie sie Dino Alvarez’ Freundin während der allwöchentlichen Besuchszeiten angeschnauzt hätte. Das letzte, was ich im DOC brauchte, waren Mitinhaftierte, die mich verprügelten, weil ich eine Freundin habe, die Designerklamotten trägt und eine Zweihundert-Dollar-Tasche mit sich rumschleppt.
    Für mich bestand der Besuchstag aus Mom, die nervös die Hände knetete und mich anstarrte, als sei ich der Sohn von jemand anders, und Dad, der über das Wetter und nichts Besonderes faselte, nur um das Schweigen zu überbrücken.
    Ich gehe zu meinem Kleiderschrank und
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