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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten
Autoren: Roland Breitenbach
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wird noch heute ein Glas
Rotwein bevorzugt. Vor der Hitze des Tages wollen wir einen Teil unserer
Tagesetappe zurücklegen, deswegen sind wir lange vor den Spaniern auf dem Weg.
     
    Wir
kommen noch am gleichen Tag nach Virgen del Camino; hier haben Dominikaner 1961
ein modernes Pilgerzentrum eingerichtet. Dann geht es weiter durch das karge
Land, das durch eine gezielte Bewässerung grün geworden ist; deswegen gibt es
neben den Weinfeldern auch Äcker mit Rüben und Gemüse. Die Rüben überlassen wir
dem Vieh, die Trauben gehören uns. Wenn wir an den Feldern vorüberwandern, richten
sich die Bauern zu einem kurzen Plausch von ihrer anstrengenden Arbeit auf.
Zeit für den anderen gibt es immer; Maschinen sind hier eher selten.
     
    Umarmung
     
    „Umarmt
für mich den Apostel!“
    Als
beschwörende Bitte,
    den
Rücken gebückt,
    mit
abgearbeiteten Händen
    ruft
es der Bauer
    aus
dem Rübenfeld.
    Umarmt
den Apostel
    im
fernen Santiago für mich.
    Nehmt
meine Not mit
    und
meine kranke Frau.
    Die
Kinder sind längst abgewandert
    in
die Stadt mit ihren Lichtern.
    Die
Alten bleiben immer allein.
    Wer
nimmt uns mit?
    Dem
Apostel sei es geklagt.
    Umarmt
ihn für mich.
     
    Wieder
ist es Mittagszeit. Wir kommen nach Hospital de Órbigo. Bemerkenswert ist die
750 m lange Brücke über den Río Órbigo. Sie muß einen Fluß überspannen, der im
Spätwinter und im Frühjahr gewaltige Wassermassen heranschleppt. Die längste
Brücke auf dem langen Weg; man sieht es dem Bauwerk an, daß es immer wieder
angestückelt werden mußte, sowie der Órbigo sein Bett verbreiterte. Auch dieser
Ort verdankt seine Entstehung, die ganze Bedeutung und seinen Namen der
Wallfahrt nach Santiago. Mehrere entscheidende Schlachten fanden in der
Geschichte zwischen den beiden Ufern statt. Auch ein Kriegsspaß ist
überliefert, als es 1434 ein gewisser Caballero Suero de Quiniones mit nur neun
Gefährten auf dieser Brücke fertigbrachte, einige hundert Ritter auf ihrem Weg
nach Santiago aufzuhalten und von ihnen Brückenzoll zu erpressen.
     
    Puente
del Paso Honroso
     
    Die
Hitze bricht sich
    im
schimmernden Wasser des Órbigo.
    Sueben
und Visigoten,
    Mauren
und Christen
    kämpfen
noch immer
    auf
seinem Grund.
    Ihr
Blut bricht sich
    in
den silbrigen Wellen.
    Ich
schaue hinunter
    und
sehe die Pilger
    gemeinsam
auf dem Heimweg.
    Wohin?
     
    Einigermaßen
geschafft erreichen wir Astorga; heute sind wir 38 km gelaufen. Nach wie vor
macht uns die Hitze zu schaffen; am Abend kühlt es kräftig ab. Es wird Herbst
über unserem Weg und wir brauchen einen Pullover. Die Kathedrale von 1471
bietet von der Gotik bis zum Barock alle Baustile. Interessanter noch ist der
Palacio Episcopal, das Werk des versponnenen Architekten Antonio Gaudi, der
überall in Spanien waghalsige, alles bisherige durchbrechende Bauten entstehen
ließ. Zum Teil sind sie, wie die Iglesia Sagrada Familia in Barcelona, noch
nicht vollendet, obwohl Gaudi schon 1926 gestorben ist. In Astorga mit seinen
guten Hospizen sammelten die Pilger noch einmal ihre Kräfte für die letzte,
schwere Etappe. Wir tun uns schwer mit einer Unterkunft, doch in einer Woche
sind wir beim Apostel. Der Weg steigt nun langsam bis zur Höhe von Foncebadón
hinauf. Von nun an markieren neue und alte Pilgerkreuze und Steine den Weg.
     

     
    Bei
Rabanal del Camino, hier renoviert die deutsche Jakobusgesellschaft zusammen
mit Engländern das Refugio, begegnet uns überraschend eine Gruppe junger
Deutscher; sie stammen wie wir aus Franken und die Freude ist groß.
    Von
Astorga aus gehen sie die letzten 200 km bis zum Apostel. Mit Gebet und Gesang
ziehen sie in Rabanal del Camino, einem Ort ein, in dem sich im Hochsommer eine
merkwürdige Zeremonie abspielt: „Die Spielleute, die Kastagnette, die Priester,
das heisere Singen der alten Frauen... Vorne geht der dicke Wirt, er hat die
Raketen als Bündel im Arm. Ab und zu zieht er eine unterm Arm hervor und die
Zigarre aus dem Mund und zündet damit eine Rakete an. Es zischt und kracht
schauderbar“, so beschreibt Detlef Willand, der in mehreren Jahresetappen vom
Kleinen Walsertal aus den Weg nach Santiago gemacht hatte, die Prozession, ohne
deren eigentlichen Anlaß zu kennen. Sie geht vermutlich auf einen bretonischen
Soldaten aus dem Heer Karls des Großen zurück, der sich hier in die Tochter des
Sultans unsterblich verliebt hatte; damit war der Kampf zu Ende. Freudenraketen
sind allemal besser als Kanonenkugeln.
    Wir
steigen in der glühenden Hitze immer
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