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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten
Autoren: Roland Breitenbach
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Schuhe mit der auffälligen Sohle entdecken.
José Solana kommt aus Madrid; wir treffen ihn noch einmal im Nachtquartier zu
Triacastela. Dort geht es ihm aber sehr schlecht; irgendetwas hat ihm den Magen
verdorben; wir hören sein Stöhnen die ganze Nacht und können nicht helfen.
     
    Für
uns beginnt hier die letzte entscheidende Etappe. Jetzt sind wir sicher, daß
wir es schaffen und beim Apostel ankommen werden. „Die Galizier sind allesamt
Räuber , schreibt ein früher Pilger in sein Tagebuch. „Sie sprechen eine
unverständliche Sprache. Hart und grob sehen sie aus, wie das Gebirge.“ Ein
anderer weiß: „In Galizien regnet es jeden Tag mindestens einmal.“ Wir wurden
von beidem verschont, vor bösen Menschen und vom Wasser von oben. José trug in
unser Pilgerbuch ein: „Wir treffen uns, wir gehen auseinander, aber wir lassen
uns nicht trennen. Wir sind viele auf dem Weg, ohne sich umzudrehen und
zurückzuschauen, damit wir das Ziel erreichen. Auf nach Santiago!“
     
    Auf
einem wunderschönen Steig geht es hinauf in eine farbenprächtige Bergwelt,
grün, gelb, blau, violett. So schönes Heidekraut haben wir noch nie gesehen;
der Thymian duftet betörend; schwer liegt der Salbei in der Luft; die
Feuchtwiesen gehen mit Baldrian schwanger. Hier auf dem Cebreiro, in dieser
rauhen Höhe, schlägt das Herz Galiziens. Das schlichte Heiligtum aus der
vorromanischen Zeit birgt den Caliz del Milagro, den heiligen Gral, und die
romanische Madonna Santa Maria la Real, die Königin Galiziens. Ein Wunder hat
diesen 1300 m hohen Punkt zu einem regionalen Wallfahrtsziel gemacht:
     
    Der heilige Gral
     
    Den
Kleinen und Schwachen
    wird
gezeigt,
    was
den Wissenden abgeht.
    Einsicht
in das Geheimnis Gottes.
    Ein
Bauer stieg auf den Berg,
    die
Messe zu feiern.
    Er
glaubte.
    Der
Mönch am Altar,
    der
die Messe las,
    glaubte
nicht, was er tat.
    Daher
sah er auch nichts,
    der
Bauer aber alles:
    In
Brot und Wein
    sah
er selber den Herrn.
     

     
    Von
nun an zeigen weiße Steine mit der Muschel alle 500 m die Entfernung nach
Santiago an. 109,5 km sind es noch von dem Ort aus, an dem einst eine
Michaelskapelle stand. Mit dem Madrider José haben wir noch eine Zeitlang über
den Weg geplaudert; jetzt trennen wir uns wieder. Wir treffen Landsleute, zwei
Pfarrer aus Köln, die kürzere Wegstrecken gehen, das übrige mit dem Auto
absolvieren. Morgen schon wollen sie in Santiago sein. Das erinnert uns an das
Ziel. Die Zeit drängt uns. Der Apostel wartet. Diese Erwartung ist fast
körperlich zu spüren. Für uns sind es jetzt noch drei oder vier Tage. Sollen
wir schneller gehen oder langsamer in dieser Spannung? Wir wissen es nicht.
Beim Kilometerstein 100 machen wir ausgiebig Rast. Wir leeren unseren Rucksack
und verspeisen alle Reste, die sich dort finden:
     
    Brot
aus Sarria
    Wurst
aus Santa Catalina
    Käse
aus Herreria
    Tomaten
aus Camponaraya
    Zwiebeln
(geklaut) am Damm vor Frómista
    dazu
frisches Wasser
    aus
der Quelle von Barbadelo
     
    Schier
endlos kommt uns jetzt, da alles zu Ende geht, der Weg durch das Armenhaus
Galiziens vor. Am Rande jeder Ortschaft hängt zwar ein großes Schild, das einen
Plan verkündigt: Wasserversorgung, Straßenanschluß, Elektrizität. Von
irgendwelchen Baumaßnahmen war jedoch nichts zu sehen; die Pläne trugen auch
keine Jahreszahl. Manana, morgen vielleicht oder nie. Von Dorf zu Dorf nicht
einmal eine Bar; wir schleppen uns weiter. Zehn erbärmliche Ortschaften müssen
es gewesen sein von Sarria bis Portomarín, in denen wir nichts zu essen und zu
trinken bekommen. In Portomarín, hier ist der Mino auf weite Flächen angestaut,
übernachten wir neben der Kirche des hl. Johannes, die vor dem Stau Stein für
Stein nach oben umgesetzt worden war. Die zugige Unterkunft mit dunklem Bier
trägt den Namen Posada del Camino.
     
    Noch
90 Kilometer; noch gilt es 180 dieser weißen Steine zu finden. Dann werden wir
da sein. Ein wenig zögernd werfen wir uns an diesem Tag, wir schreiben den 2.
September, den Rucksack über. Am liebsten möchten wir jetzt langsamer machen;
doch bald haben wir wieder unseren alten, gewohnten Tritt auf genommen. Die 13.
und letzte Etappe nach der Zählung des Codex Calixtinus müssen wir noch in zwei
Übernachtungen aufteilen: Heute in Palas do Rey, morgen in Arzúa, übermorgen...
Wir überschreiten die Grenze zur letzten spanischen Provinz Coruña und machen
kurze Rast in Melide mit seiner Marienkirche aus dem 12. Jahrhundert. Weiter.
     
    In
Palas do Rey treffen
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