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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten
Autoren: Roland Breitenbach
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besonderer
Geschmack kommt uns über die Nase auf die Zunge. Es schmeckt nach Weihrauch und
nach mehr, wir können es nicht beschreiben wonach. Ein Geschmack, den das Herz
schmecken kann und versteht, ein Geschmack nach mehr...
     
    Der
Apostel erwartet uns auf dem Hochaltar, ganz in Silber gekleidet. Wir steigen
zu ihm hinauf und umarmen ihn. Wir umarmen ihn für uns und für alle Menschen,
die uns in diesen Wochen bis hierher getragen und deren Anliegen wir mitgebracht
haben. Milde lächelt Jakobus, kein bißchen streng, wie wir erwartet hätten. Er
nimmt, so haben wir das Gefühl, von uns alles an, was wir auf dem Rücken und im
Herzen hatten: Freud’ und Leid, Bitten und Hoffnungen, Sehnsüchte und
Erwartungen. Er nimmt alle unsere Zweifel weg, unsere Enttäuschungen, alle
Bitterkeit und Ängste. Uns fehlen die Worte. Gut, daß es diese einfachen Gesten
gibt, wie diese Umarmung hoch über dem Altar. Was können da Worte ausdrücken?
Ein tiefes Einverständnis schwingt zwischen dem Apostel und uns. „Ihr seid
endlich da. Wie lange habe ich auf euch gewartet. Doch jetzt ist alles gut!“
Die Pilger hinter uns in der Reihe haben Geduld und Verständnis für unser
wortloses Zwiegespräch. Dann sind sie an der Reihe und wir sitzen in der Kirche
des Apostels und schweigen weiter. Wir sind endlich bei uns angekommen.
     
    Alles
andere ist jetzt fast Routine und tritt weiter hinter unser großes Erlebnis
zurück. Feierlich überreicht uns der Sekretär der Kathedrale die Compostellana,
nachdem er sorgfältig unser Pilgerbuch studiert und unseren Weg und unsere
Motive überprüft hat.
     
    Capitulum
hujus Almae Apostolicae
    et
Metropolitanae Ecclesiae
    Compostellanae
sigili
    Altaris
Beati Jacobi Apostoli custos
    ut
omnibus
    Fidelibus
et Peregrinis extoto terrarum
    Orbe,
    devotionis
affectu vel voti causa,
    ad
limina
    Apostoli
Nostri Hispanorum
    Patroni
ac tutelaris
    SANCTI
JACOBI
    convenientibus,
    authenticas
visitationis litteras expediat,
    omnibus
et singulis inspecturis
    notum
facio...
     
    ... Das hohe Metropolitankapitel gibt uns
    unter
dem 5. September 1989
    Brief
und Siegel darauf,
    daß
wir nach altem Brauch
    und
in der rechten Weise
    die
Wallfahrt nach Santiago unternommen
    und
zu Ende geführt haben...
     
    Wir
werden in die Pilgerliste eingetragen und sehen für das laufende Jahr schon
über 2000 Namen vor uns verzeichnet. Dann feiern wir den großen
Pilgergottesdienst mit, der uns mit den vielen Menschen, die aus allen Gegenden
Spaniens gekommen sind, und mit den acht Pilgern verbindet, mit denen wir die letzten
Kilometer geteilt hatten. Die Messe ist ein einziger großer Friedensgruß. Dem
Apostel zu Ehren und uns zur Freude wird das riesige Weihrauchfaß aus Silber
von sieben Männern durch das Querschiff geschwungen. Sonst ist das nur an
besonderen Festtagen üblich. Als die Menschenmenge applaudiert, fühlen wir uns
hineingezogen in das große Lob, das nur Gott allein gelten kann. Und wieder
lächelt der Apostel.
     
    Dann
bleibt uns viel Zeit für die Stadt. Es fällt uns nicht schwer, sie mit den
Augen eines mittelalterlichen Pilgers zu sehen. Wie ein alter Pilgerführer
Santiago beschreibt, so erleben wir die Stadt auch: „Zwischen zwei Flüssen, von
denen der eine Sar heißt und der andere Sarela, liegt die Stadt Compostela. Es
gab sieben Tore in der Stadt. Jeden Tag ging ich durch ein anderes und kam
immer zum Apostel.“ Der Camino francés endete am Nordosttor, dort, wo auch wir
auf der "Heiligen Straße in die barocke Altstadt eingezogen sind. In
diesem engen Bezirk, der in einer guten Stunde umrundet werden kann, liegen
zehn weitere Kirchen aus alter Zeit, die bis heute gut erhalten sind. Wir
wollen sie alle sehen, denn sie sind in den Stadtkern eingefügt wie wertvolle
Edelsteine.
     
    Immer
wieder zieht es uns zur Kathedrale zurück. Vier Plätze umlagern die große
Kirche: Das eindrucksvolle Obradoiro wird umgeben vom stolzen Bischofspalast,
dem Rajoyapalast gegenüber der Kathedrale, dem Colegio San Jeroanimo und dem
Hospital Real, das heute ein geschmackvolles Hotel ist, allerdings wie in León
unerschwinglich für den normalen Pilger. Immerhin haben in diesem Prachtbau des
Hostal Reyes Católicos nach altem Recht die Fußpilger noch eine Mahlzeit frei.
     
    Wir
kommen auf unserem Rundgang zum Platz der Goldschmiede, zur Plaza de la
Quintina hinter dem Chor der Jakobuskirche, und dann zu einem Platz, der seinen
Namen von den Kohlesteinschneidern (Azabacheria) hat. Hier wird ein
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