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Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre
Autoren: Tom Sharp
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war nicht bereit, ihm zuzuhören oder noch irgendwelche dummen Fragen zu beantworten. Eine halbe Stunde später gab er den Kampf gegen ihr Schweigen auf und ließ sie weinend zurück, wie es den Heldinnen ihrer Bücher so oft erging, wenn die Männer, die sie liebten, in der Morgendämmerung mit offenem Hemd auf schwarzen Pferden davonritten.
    »Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich von ihr halten soll«, berichtete er dem Superintendent. »Sie scheint völlig auf diese Liebesromane fixiert zu sein, Marke Barbara Cartland. Nicht, dass ich jemals eine von diesen billigen Schnulzen gelesen hätte.«
    »Und Sie glauben nicht, dass sie Sie nur auf den Arm genommen hat?«
    »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Sie hat gesagt, ihr über alles geliebter Gatte sei der reizendste Mensch, der ihr je begegnet sei.«
    »Das ist das genaue Gegenteil von dem, was sie mir erzählt hat. Sie hat den Mann beschuldigt, er hätte versucht, ihren Sohn mit einem Küchenmesser umzubringen.«
    »Ich weiß. Ich habe mir ihre früheren Aussagen angesehen, und die haben allem widersprochen, was sie mir zu erzählen bereit war, und das war so gut wie nichts. Meiner Meinung nach ist sie entweder eine vollendete Lügnerin, oder sie lebt in einer Fantasiewelt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen da weiterhelfen kann.«
    Der Superintendent seufzte. Er hatte sich noch immer nicht von seiner fast schlaflosen Nacht erholt, geschweige denn von diesem verdammten Zwischenfall mit dem Forensikexperten in dem Schlachthaus.
    »Glauben Sie, sie ist schizophren oder psychotisch?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht, was sie ist«, fing der Psychiater an, »aber wenn Ihnen das was hilft, dann würde ich sagen, sie ist total durchgeknallt und sollte in eine Klinik eingewiesen werden.«
    Der Superintendent lächelte.
    »Das ist alles, was ich wissen muss. Vielen, vielen Dank. Ich habe auch ohne eine völlig Verrückte genug um die Ohren.«
    An diesem Nachmittag wurde Vera, die unter starken Beruhigungsmitteln stand, in einen Krankenwagen getragen und in eine Klinik in Suffolk gefahren.

38
     
    Während der ersten paar Tage saß Horace hauptsächlich auf seinem Balkon mit Strandblick und blickte über die Bojen hinweg zu den Jachten in allen Größen hinaus. Die Bojen waren ein paar hundert Meter vom Strand entfernt, und er begriff ziemlich schnell, dass sie es den Sonnenanbetern erlaubten, sich im Seewasser abzukühlen und ungefährdet zu schwimmen. Es war August, und am Strand war kaum noch Platz für Neuankömmlinge.
    Was ihn verblüffte, war, dass es augenscheinlich keinerlei heftigen Streit oder Ärger gab, wie es zweifellos der Fall gewesen wäre, wäre dies ein Seebad in England gewesen. Möglicherweise gab es auch hier kleinere Kabbeleien, doch da er kein Wort Katalanisch verstand, bekam er davon glücklicherweise nichts mit.
    Außerdem interessierten ihn die Männer, die von Zeit zu Zeit auf und ab stolzierten und mit ihren Muskeln prahlten, weniger als die Frauen. Während er im Schatten der Markise über ihm auf seinem Balkon lag, konnte er ihre annähernd nackten Körper verstohlen durch ein Fernglas betrachten, das er in einem Geschäft in der benachbarten kleinen Industriestadt gekauft hatte. Und erkennen konnte er, dass in manchen Fällen das »annähernd« überflüssig war. Da waren sie, lagen auf dem Bauch und zogen nur Bikinis an, wenn sie ins Wasser gingen. Horace Wiley, der seine einzigen, dankenswerterweise kurzen Erfahrungen in Sachen Sex nach seiner Hochzeit mit Vera gemacht hatte, verspürte ein jähes Aufwallen der Lust. Das war eine peinliche Überraschung für einen Mann, der absichtlich jegliche sexuelle Neigung unterdrückt hatte, um sich seine verhasste Ehefrau vom Hals zu halten. Außerdem war Horace in einer Familie aufgewachsen, wo alles auch nur ansatzweise Erotische streng verboten gewesen war. Wie sein Vater es ihm eingebläut hatte, bestand seine Rolle im Leben ausschließlich darin, Geld zu verdienen und sich über Wasser zu halten. »So habe ich es gehalten«, hatte dieser wiederholt verkündet. »Im Gegensatz zu meinem lüsternen Vetter. Sogar sein Vater hat sich gewünscht, er wäre bei der Geburt gestorben.«
    Jetzt jedoch, da er fern von England war und die begehrenswertesten Frauen betrachten konnte, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte, traten seine so lange unterdrückten natürlichen Gefühle in den Vordergrund. Er war in den besten Jahren, und er wollte mit einer nackten Frau ins Bett steigen und sie
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