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Laura, Leo, Luca und ich

Laura, Leo, Luca und ich

Titel: Laura, Leo, Luca und ich
Autoren: Stefan Maiwald
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aus Grado zurück nach München, hatte einen österreichischen Feiertag im Kalender übersehen (normalerweise plane ich genau, wann ich fahre) und brauchte neun Stunden. Als ich erschöpft spät am Abend vor meiner Haustür ankam, traf ich meinen Nachbarn, von dem ich nicht viel mehr wusste, als dass er sich vegetarisch ernährte. Ich klagte ihm mein Leid und hoffte auf Mitgefühl. Er hob den Zeigefinger und sagte: »Du stehst nicht im Stau. Du
bist
der Stau.« Elender Schlaumeier. Ich wünschte ihm Tofu-BSE an den Hals.
    Erst vor ein paar Monaten fand ich heraus, dass es einen sehr viel kürzeren, sehr viel schöneren, kaum befahrenen |37| Weg über die Alpen gibt – die Felbertauernstrecke über Kufstein, Kitzbühel, Lienz und Tolmezzo. Den kann ich aber nur allein fahren, denn es ist eine sehr kurvige Angelegenheit, und Laura wird im Auto schlecht.
    In der ersten Zeit hatte ich übrigens noch gar kein Auto. Ich pendelte, und das war echt abenteuerlich, mit dem EC 289, der abends um 17.30   Uhr in München losfuhr und am nächsten Morgen um 9 in Venedig ankam. Von dort stieg ich in einen Regionalzug um und erreichte unrasiert, unausgeschlafen, ungeduscht und geduzt um 11.30   Uhr Cervignano. Dann ging es weiter mit dem Bus ins zwanzig Kilometer entfernte Grado (Ich machte mir eine geistige Notiz von bestechender Klarheit: Inseln verfügen selten über Bahnhöfe.) Beim ersten Mal fand ich das gemeinsame Singen und Feiern mit den Interrail-Urlaubern, bei denen diese Zugverbindung beliebt war, sehr charmant. Dosenbier wurde herumgereicht, Zigaretten teilte man sich brüderlich (damals rauchte ich noch; Laura trieb mir das schnell aus), und natürlich hatte jemand eine Gitarre dabei. Die Interrailer zeigten sich überraschend traditionsbewusst: Che-Guevara-Shirts, Palästinenserschals und Kurt-Cobain-Songs waren dort immer noch hoch im Kurs. Beim zweiten Mal geriet ich in eine Gruppe christlicher Interrailer. Ich weiß nicht genau, ob die auf Mission waren, aber einer von denen, der mich nachts mit seinen unruhigen Ellenbogen wach gehalten hatte, drückte mir am nächsten Morgen eine Broschüre über Jesus in die Hand. Beim dritten Mal |38| war der Zug überbucht, ich verbrachte die Nacht auf dem Boden im Durchgang vor dem Abteil.
    Beim vierten Mal wollte ich mir ein Bett gönnen und träumte von etwas, was James Bond in der Schlusssequenz von ›Leben und sterben lassen‹ hatte, bloß notgedrungen ohne Jane Seymour: ein schnuckliges Apartment mit servilem Butler, eigenem Bad und großzügigem Bett, in welchem ich mich von den Schienen Europas in den Schlaf rütteln lassen wollte. Der Preis für die Fahrkarte hatte diese Träume durchaus genährt. Meine Enttäuschung war groß, als ich mich in einer Sechsbett-Station wiederfand, die verblüffend einer Batterie von Legehennen ähnelte, die ich einmal in natura gesehen hatte. Daraufhin war ich auf Bio-Eier umgestiegen, wenngleich ich diese Vorsilbe ansonsten zu meiden versuche wo es geht. Schon der Bio-Unterricht in der Schule war mir verhasst.
    Die Nachfrage beim Schaffner, ob hier ein schrecklicher Irrtum vorliege, klärte mich auf: Ich hatte »Liegewagen« mit »Schlafwagen« verwechselt, und jetzt hatte jeder von uns sechsen, von denen niemand aussah oder wenigstens so roch wie Jane Seymour, nur noch ein Ziel: schneller einzuschlafen als die anderen, um nicht von deren Schlafgeräuschen wachgehalten zu werden. Es war wie beim Hölzchenziehen oder bei ›Highlander‹: Es konnte nur einen geben. Um es kurz zu machen – Sie ahnen die Pointe bereits, richtig? –: Ich war es nicht.
    Zum fünften Mal sollte es dann nicht kommen: Ich kaufte mir einen Golf. Und Fliegen? Was ist mit Fliegen? |39| Das wäre sehr gut möglich, ich gebe es zu. Wenngleich der Münchner Flughafen Franz Josef Strauß von der Innenstadt aus nicht gerade um die Ecke ist, so liegt der Flughafen Trieste-Ronchi dei Legionari nur 15   Kilometer von Grado entfernt und wird zweimal täglich von Air Dolomiti aus München angeflogen. Das Problem ist nur: Ich habe Flugangst, und ich habe meine Flugangst auf sehr einfache Weise besiegt: Ich fliege nicht mehr. Als ich mich zu diesem Schritt entschloss, dachte ich zuerst an eine kleine, hübsche Story, die mir weitere Erklärungen ersparen könnte, etwa folgende: Mein Onkel hatte eine kleine Cessna. Vor ein paar Jahren flogen er und ich durch den klaren Himmel Niedersachsens. Dann begann der Propeller zu stottern. Dann setzte er aus. Nirgends war Platz
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