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Lauf, wenn es dunkel wird

Lauf, wenn es dunkel wird

Titel: Lauf, wenn es dunkel wird
Autoren: April Henry
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genau so, wie sie sich fühlte. Sie blieben beide still, bis das Auto an ihnen vorbeigefahren war und das Motorengeräusch verklang. Mit ihm schwand auch ihre Kraft.
    »Hör mal - entspann dich einfach, okay?« Seine Stimme hörte sich ein bisschen ruhiger an.
    Sie zwang sich zu nicken.
    »Ich brauch den Scheiß nicht. Ich brauch das nicht, wenn du schreist und trittst und kratzt. Ich kann nicht denken, wenn du das machst. Also bist du endlich still?«
    Cheyenne nickte wieder und wünschte, sie könnte sich ganz eng zusammenrollen, ganz eng, und kleiner und kleiner werden, bis sie einfach verschwand.
    »Ich werde dich gehen lassen«, beharrte er.
    Etwas in ihrem Gesicht musste gezuckt und ihren Zweifel verraten haben.
    »Werde ich! Nur eben nicht jetzt. Jetzt muss ich dich erst mal fesseln und die Decke über dich ziehen, damit dich niemand sieht. Und heute Abend, wenn es dunkel ist, lass ich dich gehen.«
    Cheyennes Kopf tat an der Stelle weh, mit der sie gegen das Fenster geknallt war. Das war wahrscheinlich gerade mal fünf Minuten her, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Wo waren sie jetzt? Wo waren sie, wenn er dachte, dass er sie auf dem Rücksitz festhalten konnte, ohne dass es jemand bemerkte? Das eine Auto war das einzige, das sie gehört hatte, seit er in diese Straße abgebogen war.
    »Zieh deine Schuhe aus.« Cheyenne dachte, er wollte verhindern, dass sie weglief. Aber dann sagte er: »Und gib mir die Schnürsenkel.«
    Sie machte, was er wollte, und fragte sich dabei, wo die Pistole gerade hinzeigte. Auf ihren Kopf, auf ihr Herz? Oder hatte er die Waffe schon weggelegt? Der winzige, verschwommene Ausschnitt ihres Gesichtsfelds, der ihr noch geblieben war, verriet ihr nichts. Der Typ befahl ihr, sich auf den Bauch zu legen, und band ihre Hände auf dem Rücken zusammen. Cheyenne wusste, dass er in diesem Moment unmöglich die Pistole in der Hand haben konnte, aber er konnte noch immer danach greifen und Cheyenne erschießen, wenn sie Ärger machte.
    Also gehorchte sie, spannte jedoch die Arme an und hielt die Hände so weit auseinander, wie sie sich traute. Mit dem zweiten Schnürsenkel band er ihre Füße zusammen. Warum hatte sie nur keine Slipper angezogen?
    Tausend Fragen schwirrten ihr durch den Kopf.
    Als der Typ fertig war, drehte sie sich zu ihm um. Sie wollte, dass er ihr Gesicht sah, ihr in die Augen blickte, auch wenn sie seine nicht sehen konnte. Wahrscheinlich war es leichter, jemanden in den Rücken zu schießen.
    Sie wollte es ihm nicht leicht machen.
    Cheyenne hörte, wie er ihre Handtasche nahm und sie durchwühlte.
    »Suchst du Geld?«, fragte sie. »Ich hab nicht viel.«
    Cheyenne wusste, dass sie einen Zwanziger, zwei Zehner und ein paar Einer dabeihatte. Der Zwanziger war der Länge nach gefaltet, der Zehner der Breite nach und die Einer überhaupt nicht. Wenn sie von jemandem Geld zurückbekam, fragte sie immer, welcher Schein es war, und dann faltete sie ihn. Jeder Blinde hatte sein eigenes System, wie er die Scheine faltete, damit er sie auseinanderhalten konnte. Münzen waren viel einfacher. Sie waren unterschiedlich groß und dick, manche hatten glatte Ränder und andere nicht. Wenn eine Münze zu Boden fiel, konnte Cheyenne allein am Klang erkennen, um was für eine es sich handelte - und das sogar schon vor ihrem Unfall.
    Jetzt spielte sie ihren Trumpf aus. »Ich habe eine Bankkarte. Wenn du mich gehen lässt, geb ich dir meine PIN. Auf meinem Konto sind mehr als dreitausend Dollar.«
    »Dreitausend Dollar?« Da war etwas in seiner Stimme, das Cheyenne aufhorchen ließ. Er war wahrscheinlich jünger, als sie angenommen hatte, und es klang, als ob er ihr nicht glaubte.
    Hoffnung keimte auf. »Du kannst alles haben. Ich glaube nicht, dass du mehr als tausend Dollar auf einmal abheben kannst, aber ich schwöre, ich werde ihnen nicht sagen, dass du meine Karte hast. Ehrlich.«
    »Ich will dein Geld nicht!« Da war ein seltsamer Ton in seiner Stimme. Fast als wäre er durch ihre Beschuldigung verletzt, was ihr völlig absurd vorkam. Es war okay, ein Auto zu klauen, es war okay, sie zu entführen, aber es war nicht okay, ihr Geld zu nehmen? »Ich suche in deiner Handtasche nach was, mit dem ich dich knebeln kann.«
    »Das darfst du nicht. Ich bin total krank. Wenn du mich knebelst, ersticke ich.« Was nicht gelogen war, aber ganz der Wahrheit entsprach es auch nicht. Und wenn er sie wirklich knebelte, würden sich ihre Chancen, Hilfe zu bekommen, schlagartig
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