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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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Erscheinungen in Menschenleben gewesen und hatte sich dabei eine Lebensphilosophie abgezogen, deren kluge Anwendung ihn glücklich und zufrieden machen konnte. Er wollte jetzt in beneidenswerter Unabhängigkeit den einfachen Freuden der Natur, den Musen, seiner Familie und der ehelichen Liebe leben; zur Ausführung seines Planes wurde nichts erfordert, was er nicht schon besessen hatte oder dessen Erlangung ihm unmöglich gewesen wäre. Kein Verhältnis drängte sich zwischen ihn und seine Wünsche, keine Sorge von Bedeutung quälte ihn, kein unangemessenes Verlangen zerstörte seine Ruhe: Ihn winkte in den Armen der Liebe das glückliche Los.
    Seine Eltern hatten viele Freude von der Anwesenheit ihres Sohnes, den sie mit einer unaussprechlichen Zärtlichkeit liebten, da er von allen Kindern ihnen allein übrig geblieben war und sich ihrer Liebe wert bezeigte. Er war zum kräftigen blühenden Manne herangereift, an Leib und Seele gesund, besaß eine glückliche Temperamentsmischung, die allen seinen Handlungen den richtigen Takt verlieh. Ein munterer Humor, ein ruhiges Gemüt gab seinem Betragen jene Anmut, die einem jungen Manne alle Herzen gewinnt, um wie viel mehr mussten seine Eltern davon eingenommen werden.
    Dass Eugenie, die liebende und geliebte Braut, von der Nähe des teuren Bräutigams beseligt wurde, bedarf wohl keiner Versicherung. Sie gehörte zu jenen sanften Seelen, die ohne Hinneigung an einen geliebten Gegenstand nicht leben können. In ihrer Kindheit hatte eine zärtliche Mutter ihr ganzes Herz erfüllt, die heranblühende Jungfrau ergab sich ganz den frommen Empfindungen und machte ihren Schutzheiligen zum Gegenstande ihrer Liebe. Leodogar zog sie davon ab und ihre Neigung auf sich. Ihr Herz war geteilt zwischen Andacht und Liebe, aber die Letztere siegte und nun ergab sie sich ihr so innig, dass ihr ganzes Wesen nur dieser einzigen Empfindung anzugehören schien. Doch nahm die Liebe der Jungfrau den Charakter ihres Gemüts an; nicht stürmisch und glühend, aber sanft, tief und innig wie jenes war sie und ließ an eine ewige Dauer glauben. Eugenies Liebe, als sie den heiß ersehnten Leodogar wiedersah, rauschte nicht in lauten Freudentränen auf, stürmte nicht in der wogenden Brust, glühte nicht in dem brennenden Blicke; nur ein etwas erhöhtes Rot schimmerte mit mildem Glanze auf der zarten Wange, nur der sanfte Silberton des Wonnegefühls entstieg der keuschen Schwanenbrust, nur die blinkende Freudenzähre [4] entrollte dem Veilchenaug; und still an ihren Geliebten geschmiegt, überließ sie sich dann ihren Empfindungen, bis Leodogar sie durch seine Erzählung aufschreckte und ihre Furcht rege machte. Ahnungen und Vorgefühle wurden bei ihr stets durch ihren vorherrschenden Hang zur Schwärmerei genährt; sie verkehrte gern auf Kirchhöfen und zwischen Gräbern, lebte mehr der Zukunft, die sie sich zu einem rein geistigen Leben gestaltete, als der Gegenwart, der sie selten eine gute Seite abgewinnen konnte, und mischte oft ihren Genüssen Tränen einer sehnsuchtsvollen Wehmut bei, da ihr die reine lachende Freude beinahe roh vorkam. Leodogar liebte Eugenie zärtlich, ohne die Art ihres Empfindens zu teilen; ihm erschien alles nur im Rosenlichte der Freude; er hatte Frieden mit der Natur und mit den Menschen, und sein Frohsinn wurde durch keine Widerwärtigkeit verstimmt. Auch Eugenies an Schwermut grenzende Schwärmerei berührte sein Gefühl nicht unsanft. Er hielt ihre Stimmung dem sanften weiblichen Herzen, welches noch keinen Wirkungskreis in der Häuslichkeit fand, für angemessen, hoffte, das Übermaß ihres Gefühls würde sich im Ehestande, wenn die Pflichten der Gattin und Mutter sie in Anspruch nähmen, von selbst verlieren, und befand sich bei dem Gedanken an ihren Besitz unaussprechlich glücklich. Wer hätte aber auch in seiner Lage sein und die mit den schönsten Eigenschaften des Geistes und Herzens sowie mit körperlichen Reizen so reich geschmückte Jungfrau nicht lieben sollen; diese Reinheit der Seele, diese Zartheit der Empfindungen, dieser Reichtum des Gemüts, verbunden mit so vieler Liebenswürdigkeit, mussten Eugenie das Herz eines jeden Mannes gewinnen. Leodogar betete seine reizende Braut an und sehnte sich nach dem Zeitpunkte, der sie auf ewig mit ihm vereinen sollte. Er wünschte, den Tag der Vermählung recht nahe angesetzt zu sehen, aber darin waren ihm sowohl seine Eltern als auch Eugenie entgegen. Man wollte den Anstand nicht verletzen, und daher wurde die
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