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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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hielt bis etwa 1848 an, dann griffen die französischen Februarunruhen nach Deutschland über, die zur Märzrevolution und dem Einigungsversuch der Nationalversammlung führten. Wichtigster Streitpunkt war die Frage, ob die großdeutsche Lösung – also ein Deutschland mit Österreich – oder die kleindeutsche Lösung – also ohne Österreich – anzustreben war. Schließlich setzten sich die Kleindeutschen durch und boten dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone an, der sie jedoch nur zu seinen Bedingungen ergreifen wollte. So blieb die Frage zunächst unbeantwortet und Deutschland ohne Kaiser. In den folgenden Jahren dehnte Preußen seine Einflusssphäre immer weiter aus und geriet gelegentlich mit Österreich in Konflikt. Mit der Ernennung Otto von Bismarcks zum Ministerpräsidenten Preußens setzte ein Prozess ein, der die Hegemoniebestrebungen rasch vorantrieb – nach dem Sieg im Deutsch-Französischen Krieg ließ Wilhelm I. sich 1871 im Spiegelsaal von Versailles zum Kaiser proklamieren. Damit wurden die Weichen endgültig auf die kleindeutsche Lösung gestellt. Das Hegemonialbestreben war aber nicht gesättigt und Wilhelms II. Wunsch nach »einem Platz an der Sonne« führte letztlich 1914 in den Ersten Weltkrieg.
    Diese wechselhafte Geschichte blieb für die Literatur nicht ohne Folgen. Das Ende des Heiligen Römischen Reiches war jedoch zunächst überraschend gleichmütig aufgenommen worden – bis in die dreißiger Jahre hinein war die eher rückwärtsgewandte, zur Melancholie neigende Romantik die wichtigste literarische Strömung. In ihren späteren Jahren musste sie zum einen mit dem Biedermeier konkurrieren. Diese Werke haben vor allem das Fehlen einer gemeinsamen Stoßrichtung gemein – ein Spiegelbild der nachnapoleonischen deutschen Gesellschaft. Andererseits schwappte in den dreißiger Jahren mit der Auflehnung des Pariser Bürgertums gegen den französischen König Karl X. eine neue Stimmung auch nach Deutschland. Aus ihr entstanden die politischen Dichtungen, die in Deutschland unter Vormärz und Junges Deutschland subsumiert werden. Diese Hinwendung zum Aktuellen und Konkreten verabsolutierte und entwickelte sich weiter zum Realismus. Später, als die realistischen Schriftsteller sich zaghaft wieder romantischen Themen öffneten, formierte sich der bis ins 20. Jahrhundert reichende Naturalismus, der Alltagsthemen mit einem den exakten Wissenschaften nachempfundenen Stil bearbeitete – Vampire spielen hier indes keine Rolle. Diese können wohl aber in den Gegenströmungen wie der Décadence oder der Heimatkunst, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden waren, einen Platz haben; während Erstere vor allem dem Bürgertum unangenehme Themen mit anti-bürgerlichem Wertesystem anging, behandelte Letztere lokale Themen, in denen realistischer bis naturalistischer Stil mit zuweilen romantischem Duktus verschmolzen werden konnte. Es wird kaum verblüffen, dass die verschiedenen Strömungen das Vampirmotiv unterschiedlich verwendeten.
    Mit dem Begriff »Vampir« können sehr unterschiedliche Dinge bezeichnet werden – scheut er Knoblauch und Kreuz, verbrennt er in der Sonne, entsteht er durch einen Fluch, ein Gift oder ein Virus? Es gibt zahllose Varianten. Im Kern ist der Vampir jedoch ein Wesen, das sich von der Essenz anderer Lebewesen ernährt. In den frühen Vampirgeschichten waren es Tote, die ihr Grab verließen, um das Blut der Lebenden zu saugen. In späteren Jahren konnten es auch Aliens oder menschenähnliche Wesen sein; diese sind für die folgenden Geschichten aber ohne Belang. Pseudo- und Psychovampire treten allerdings auf. Pseudovampire sind normale Menschen, die von anderen für Vampire gehalten oder zumindest so genannt werden, und Psychovampire sind Wesen, die, ohne Blut zu trinken, direkt von der Lebenskraft ihrer Opfer zehren.
    Um den im deutschen Sprachraum des 19. Jahrhunderts heimischen Vampir vorzustellen, habe ich zwölf Geschichten ausgewählt. Ich habe hierbei auf eine große Bandbreite gesetzt. So sind nicht alle Verfasser Deutsche. Die deutsche Kultur hatte in der Neuzeit eine erhebliche Strahlkraft in Osteuropa, die vom Vernichtungskrieg der Wehrmacht vielleicht für immer verdunkelt wurde. Im 19. Jahrhundert jedoch haben Balten, Polen, Tschechen und andere ihre Geschichten zum Teil auf Deutsch erstveröffentlicht. Zwei davon sind hier enthalten.
    Die erste von mir ausgewählte Geschichte ist eher unbekannt: Es ist G. P.
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