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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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Zusatz.

Die Totenbraut

— Gottfried Peter Rauschnik
    Seit mehreren Stunden ging der alte Graf Zellenstein von einem Fenster zum anderen und blickte unmutig in die weite, von dem Schloss beherrschte Landschaft, deren Umrisse bereits der hereinbrechende Abend verschleierte. Leodogar, sein einziger Sohn, sollte heute von seinen Reisen zurückkehren; auf ihn beruhten alle Hoffnungen des schon bejahrten Familienhaupts auf ein glückliches Alter, auf Fortblühen seines Stammes; leicht erklärlich, dass jede Minute des längeren Harrens die Folter seiner Sehnsucht steigerte.
    Graf Zellenstein wurde einst in seinem noch kräftigen Mannesalter von drei hoffnungsvollen Söhnen und einer liebenswürdigen Tochter umblüht, die gemeinschaftlich mit einer vortrefflichen Gattin sein Haus zu einem Himmel des ehelichen Familienglücks machten. Ihm eröffneten sich die lachendsten Aussichten für den Abend seines Lebens, den er einst von einer zahlreichen Enkelschar erheitert in den Armen seiner glücklichen Kinder zu endigen hoffen durfte. Um sich diese Hoffnungen zu sichern, ließ er keinen seiner Söhne von sich, so glänzend auch die Versprechungen waren, die man ihm bei Hofe und in der Armee zu einer ehrenvollen Laufbahn derselben machen mochte. Er selbst lehnte das ihm angetragene Amt eines Oberkammerherrn ab, um durch keinerlei Beschwernisse in dem Genusse seines häuslichen Glücks beschränkt zu sein, und seine Söhne sollten einst, seinem Plan nach, eine ähnliche Lebensweise führen.
    Diese reizende Ansicht sollte sich nicht verwirklichen. Er stand auf dem Punkt, seinen ältesten Sohn zu vermählen, als plötzlich dessen Braut und bald darauf der Bräutigam starb. In nicht gar langer Zeit darnach folgte auch der zweite und in Jahresfrist die Tochter. Über die Ursache dieser Todesfälle lag ein undurchdringlicher Schleier, der selbst keine einigermaßen begründete Mutmaßung zuließ. Die drei Kinder des Grafen haben, so wie die Braut des ältesten Sohnes, sämtlich in der vollen Blüte ihrer Gesundheit gestanden, als sie der Tod überraschte; keine Spur einer gewaltsamen Verletzung war an ihren Körpern bemerkbar, weder ein Zeichen der Vergiftung noch des Schlaganfalls war an den Leichnamen zu entdecken, und die Ärzte mussten gestehen, dass ihre Kenntnis unzureichend sei, die Ursache des Todes dieser lebenskräftigen Personen anzugeben.
    Der Schmerz der unglücklichen Eltern über diese großen Verluste lässt sich denken. Mit jedem neuen Trauerfall starb ihnen eine süße Hoffnung ab, und die trübe Aussicht auf ein kinderloses Alter vergrößerte sich. Sie sahen sich vergeblich nach Trost und Beruhigung um, das kalte, oft nur von den Gesetzen der Höflichkeit geborene Bedauern ihrer Freunde wurde ihnen lästig und nur die Furcht Leodogar, den letzten übrig Gebliebenen, auch zu verlieren, konnte die Gräfin vermögen an ihrem alten Oheim, der bei einem entfernten Hochstifte Domherr war, zu schreiben, und ihn um Rat zu bitten, wie sie dem befürchteten Verluste des nun nur noch einzigen Sohnes wohl vorbeugen könne.
    Der Domherr stand bereits auf einer hohen Stufe des Greisenalters, und sein Wesen war allen, die mit ihm in irgendeine Berührung kamen, ein tiefes, unerforschliches Rätsel. Bei den reichen Einkünften seiner Präbende [1] und einem ungemein großen eigenen Vermögen lebte er mit der Strenge eines Kartäusermönchs [2] , ohne doch, wie es schien, auf Handlungen religiöser Frömmigkeit irgendeinen Wert zu legen. Er besaß eine große und kostbare Büchersammlung, die vortrefflichsten optischen und mechanischen Instrumente, eine schön eingerichtete Sternwarte, reiche Kunstsammlungen und alles, was ein Gelehrter und Kunstfreund nur irgend zu seinen Bedürfnissen rechnet, und dennoch kam nie ein Wort von Kunst oder Wissenschaft von seinen Lippen, vielmehr vermied er es sorgfältig, sich in ein Gespräch darüber einzulassen. Er war kalt und verschlossen, und man würde ihn deshalb für einen entschiedenen Menschenfeind gehalten haben, hätte man nur irgendeine Spur von Groll oder Härte in seinen Handlungen entdecken können. Er besaß keinen Freund und keinen Feind und mit derselben eiskalten Miene, mit der er eine Bitte, die er nicht erfüllen konnte oder wollte, abschlug, erwies er Gefälligkeiten, wenn er es für gut fand. Doch nie hatte jemand eine Spur von Leidenschaftlichkeit an ihm bemerkt, und schon zweimal war der ihm angetragene Bischofsstab von ihm ausgeschlagen worden. Man hielt ihn für
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