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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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verdienstlich gedacht und allmählich den Glauben in sich aufgenommen, dass außer dem Kloster kein Heil für sie sei. Sie hielt ihre Liebe für sündlich und strebte, sie zu bekämpfen. Bei Leodogars Liebenswürdigkeit, bei der Stärke ihrer Neigung zu ihm, überstieg die Ausführung des Vorsatzes ihre Kräfte. Sie rang mit blutendem Herzen, doch gewann sie den Sieg noch nicht, weil ihre Neigung sie überrascht hatte, und als sie das Wesen derselben kennenlernte, schon zu mächtig geworden war. Ihr Wille, das einmal als gut Anerkannte unter allen Umständen auszuführen, bestimmte sie endlich, sich aus der Nähe des Geliebten zu entfernen und zwischen heiligen Mauern eine in ihren Augen tadelnswerte Leidenschaft zu vergessen. Kaum fünfzehn Jahre alt, floh sie in ein nahes Kloster, daselbst die Aufnahme begehrend. Die Gräfin, über diese Flucht aufs Höchste bestürzt und durch Leodogar von keiner Liebe unterrichtet, fuhr sogleich mit ihm nach dem Kloster, um den geliebten Flüchtling zur Rückkehr zu bewegen. Sie billigte Leodogars Liebe, denn sie kannte den hohen sittlichen Wert der Jungfrau und wünschte daher, sie einst als Gattin ihres Sohns zu sehen. Zwang mochte sie bei Eugenie nicht anwenden, um sie von ihrem Entschlusse abzubringen; sie war gewohnt ihre Kinder nur durch Liebe zu lenken, deshalb überließ sie es Leodogar, das Fräulein zur Rückkehr zu bereden. Die fromme Schwärmerin hatte einen harten Kampf zwischen ihrem vermeintlichen Pflichtgefühl und ihrer Neigung zu bestehen, und wenn die Letztere doch am Ende siegte, so geschah dies nur, weil sie der Versicherung des Geliebten, dass er ohne sie nie glücklich werden könnte, glaubte und weil die Todesfälle, die um diese Zeit in der zellensteinschen Familie sich ereigneten, es ihr zur Pflicht machten, den trauernden Eltern mit ihrem Troste beizustehen. Als sie an Leodogars Arm aus dem Kloster zurückkehrte, da sagte sie zu ihm: »Ich bringe dir, mein Freund, ein großes Opfer, denn ich verlasse die Bahn, auf der allein ich den Frieden meiner Seele zu finden hoffte. Doch ich bereue es nicht, wenn es dir frommt. Sei dieses aber eingedenk und vergiss nie, dass ich, das arme schwache Mädchen, nicht ohne Stärke in der mir fremden Welt leben kann. Wirst du mir untreu, so raubst du mir den Stab meines Lebens und brichst mir das Herz.« Leodogar beruhigte sie mit den Schwüren der feurigsten Liebe, und von der Zeit ab überließ sie sich ihrer Neigung.
    Jetzt, nach einer dreijährigen Trennung von Leodogar, harrte sie mit einem schmerzlichen Verlangen dem Erwarteten entgegen und bange Tränen entrollten ihrem Aug’, als der zu seiner Ankunft bestimmte Tag zum Ende ging und er immer noch nicht kam.
    Düstere Gewitterwolken hatten am Abend dieses Tages den Horizont umzogen, die Luft war drückend schwül, eine dumpfe Stille herrschte in der Natur und einzelne falbe Blitze erleuchteten von Zeit zu Zeit die grause Dunkelheit, die sich über die Erde verbreitet hatte. Die Kronleuchter im Saale waren angezündet, und die Familie saß, in trübsinnigem Harren versunken, schweigend da. Jetzt trat der greise, längst in den Ruhestand versetzte Hausverwalter Hubert in den Saal und begehrte, mit dem Grafen allein zu sprechen. Dieser, verdrießlich wie er war, befahl dem Alten mit rauem Tone sein Anliegen vorzutragen, da er vor seiner Gemahlin und Nichte keine Geheimnisse habe. Der Greis berichtete, erstaunt über diese nicht gewohnte Unfreundlichkeit seines Herrn, dass in der alten, unfern dem Schlosse auf einem Berge stehenden Familiengruft sich ein seltsames Leuchten sehen lasse, welches wohl keiner natürlichen Ursache beizumessen sei, da jedermann, besonders bei Nacht, den unheimlichen Ort vermeide. Der Graf fuhr den Alten an und nannte ihn einen abergläubischen Träumer. Plötzlich aber hielt er in seiner Strafrede ein, da er, nach der Grabkapelle blickend, wirklich ein solches Leuchten wahrnahm. Zudem er über die Ursache dieser Erscheinung nachdachte; sah der alte Hubert Eugenie starr an, wandte sich dann, vom stummen Entsetzen ergriffen, nach der Türe und verließ den Saal. Der Graf, in höchster Bestürzung ihm nacheilend, erfuhr nicht ohne große Mühe von ihm, dass er auf der Stelle, die Eugenie eingenommen hatte, eine Grabesgestalt in Leichengewändern eingehüllt, gesehen habe.
    Schon hatte die Turmuhr neun geschlagen und längst hatte man alle Hoffnung auf Leodogars Ankunft aufgegeben, da ließen sich Posthörner hören, Peitschen knallen, mehrere
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