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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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übergeben war. Graf Zellenstein bekannte sich zwar mit seiner Familie zur katholischen Kirche, die Mehrzahl der Einwohner seiner Herrschaft war aber Lutherisch, so auch der Pfarrer, der, als ein würdiger Geistlicher von dem Grafen geschätzt, oft als gern gesehener Gast im Schlosse erschien. Er brachte dann auf ausdrückliches Bitten des Grafen zuweilen seine wohlerzogenen Kinder und unter diesen auch Emilie, die kleine Amtsmannstochter, mit. Zwischen den Kindern des Grafen und denen des Pfarrers entspann sich eine Vertraulichkeit, die sich täglich vergrößerte und zuletzt eine innige Freundschaft wurde, die noch fortdauerte, als sie schon sämtlich erwachsen waren.
    Von Anfang an zeigte vor allen die kleine Emilie eine Anhänglichkeit an den jungen Grafen Leodogar, die sich durch keine Kälte, Neckerei oder Mutwilligkeit von seiner Seite zurückweichen ließ und die ihm, so wenig er sich auch zuerst daraus machte, doch am Ende schmeichelhaft war. Ihre stille Neigung, die aber nie in Zudringlichkeit ausartete, wuchs mit den Jahren, und obwohl Emilie sich als merkende Jungfrau mehr von Leodogar zurückzog, so nahm doch ihre Liebe für ihn zu, umso mehr, je mehr sie solche in sich verschließen musste. Wie sehr ihr auch die Verschiedenheit ihres Standes mit dem des jungen Grafen, jede Aussicht, je die Seinige zu werden, benehmen mochte, so nährte sie doch noch immer eine geheime Hoffnung dazu, die von einer lebhaften Einbildungskraft unterhalten wurde und die ihr alle Hindernisse verkleinerte, die einer Verbindung mit ihm entgegenstanden.
    Leodogar, damals ein neunzehnjähriger Jüngling, gerührt von Emilies stummer und doch so beredeter Zärtlichkeit, war auf dem Wege, sie wiederzulieben, als Eugenie erschien und seine Neigung auf sich zog. Emilie verlor nun alle Hoffnung und verzehrte sich in stillem Schmerz. Eugenie entfloh nach dem Kloster und Emilies Wünsche erwachten wieder; sie hoffte aufs Neue. Aber als Leodogar durch sein Bitten Eugenie zur Rückkehr und Erwiderung seiner Liebe bewog, als diese selbst der Freundin ihre Gefühle für den Geliebten als unendlich darstellte, da brach der Armen das Herz, der so lange schweigend getragene Liebesgram zerrüttete ihre Sinne und sie kehrte mit ihren Begriffen, Vorstellungen und Handlungen in das Kindesalter zurück.
    Emilies Wahnsinn war friedlicher Art, wenn man sie frei gewähren ließ. Sie streifte in der Gegend umher, war in sich selbst versunken, gleich als ob sie angestrengt über etwas nachdachte, und schien dabei von allen Eindrücken der Außenwelt ganz unberührt zu bleiben. Zuweilen näherte sie sich wieder den Menschen, fragte oft: »Nicht wahr, sie ist schöner und auch besser wie ich, darum kann er nur sie lieben?«, und brach dann in ein mildes Weinen aus. Es zeugte für die Schönheit ihrer Seele, die selbst der Wahnsinn nicht ganz zu zerstören vermochte, dass sie ihre glückliche Nebenbuhlerin nicht hasste, sondern vielmehr gern in deren Gesellschaft war und sich von Eugenie mehr wie von irgendjemand andrem zurechtweisen ließ und ihr Gehör gab, wenn jene ihr etwas Unschickliches zu tun verbot. Dabei hatte sie aber den Wahn, Eugenie sei kein Mensch, sondern ein körperloser Geist, der nur menschliche Gestalt angenommen habe, damit Leodogar ihn lieben könne. Ferner zeugte die Sorgfalt, die sie auf eine reinliche und anständige Kleidung verwandte, von der ursprünglichen Zartheit ihres Gemüts. Noch war es von ihr merkwürdig, dass der Wahnwitz ihr einen inneren Sinn erschlossen hatte, der sich zuweilen in ganz unbegreiflichen Wirkungen äußerte. So sagte sie oft etwas auf das Bestimmteste voraus, was dem gewöhnlichen Menschenverstande durchaus unmöglich war vorherzusehen. Dann wusste sie zuweilen ganz genau, was in weiter Entfernung von ihr vorging, und nicht selten entdeckte sie tief verborgene Dinge mit großer Klarheit. Eugenie duldete die Unglückliche gern in ihrer Nähe, da solche derselben wohlzutun schien, und auch als Leodogar von seinen Reisen zurückgekehrt war, erlaubte man ihr es, ihre Besuche fortzusetzen, da sie sich ruhig verhielt und nur mit ihrer Gitarre oder mit kindischen Spielen beschäftigte, die sie zu Eugenies oder Leodogars Füßen sitzend trieb.
      
    Signora Val Umbrosas [10] Ankunft, die eine Reihe von Festen und Besuchen veranlasste, hatte Emilie mehrere Tage hindurch von Eugenie und Leodogar getrennt, und sie wurde darüber sehr traurig. Sie machte mehrere Versuche, die beiden ihr teuren Menschen zu
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