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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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Nur beklage ich diese Verblendeten, die sich durch deine Hülle täuschen lassen und das Verderben nicht wahrnehmen, das sie durch dich ereilt.« Darauf nahm sie ihre Gitarre, zertrümmerte sie an dem Boden, indem sie sagte: »Zerbrich du fades Saitenspiel! Ich bedarf deiner nun nie mehr, da du mir doch die Herzen nicht aufschließen konntest«, und darauf entfernte sie sich schluchzend aus dem Zimmer. Die Italienerin beschwerte sich bei Leodogar über die ihr abermals von der Wahnsinnigen widerfahrene Beleidigung, und er versprach ihr, dass Emilie nie wieder in das Schloss zugelassen werden sollte.
    Eugenie, die eine Augenzeugin dieser Szene gewesen war, wurde dadurch auf das Tiefste erschüttert. Sie ahnte etwas Unheimliches, ohne dass sie doch ihrer Ahnung Worte zu geben wusste. Sie fühlte ihre Lebenskraft erschöpft und gab in der Überzeugung ihres nahen Endes ihre Ansprüche auf Leodogar feierlich in die Hände seiner Mutter zurück. Sie verlangte in ein Kloster gebracht zu werden, damit sie ihre letzten Stunden in ungestörter Andacht zubringen könnte. Man gewährte ihren Wunsch und sie zog, ohne mündlich Abschied von Leodogar zu nehmen, auf den Schultern treuer Diener getragen, davon. Viele Dürftige, denen sie stets ein hilfreicher Engel gewesen war, weinten ihr nach.
    Den Tag nach Eugenies Entfernung traf endlich der lange und sehnlichst erwartete Domherr ein, dessen Ankunft eine neue Bischofswahl bis jetzt verzögert hatte. Er war nun ein achtzigjähriger Greis, und sein ganzes Wesen gehörte einer längst entschwundenen Zeit an, aus der er eine fremdartige Erscheinung in die Gegenwart vereinzelt hineinragte. Das mit Silberlocken umkränzte gerad gehaltene Haupt der hohen Gestalt hob sich gleich einem Schneegipfel über die Alpen, über die Mehrzahl des eben lebenden Geschlechts empor und schien wie jener der alles benagenden Zeit zu spotten, der es noch nicht gelungen war, seinen männlichen Nacken zur Erde zu beugen. Aus dem faltenvollen Gesicht blitzten ein paar feurige Augen hervor, die jedem bis in das tiefste Innere seines Wesens zu dringen schienen, deren Strahlenblick nur ein Biedermann ertragen konnte.
    Gleich nach seiner Ankunft ließ er sich von der Gräfin die Geschichte von Leodogars Liebe zu Eugenie erzählen und schüttelte dabei unwillig das greise Haupt. Darauf begab er sich nach dem Kloster, worin Eugenie sich befand, und nachdem er mit dieser eine Unterredung gehabt hatte, ließ er auch Emilie vor sich bringen, mit der er sich lange allein unterhielt. Der Zufall hatte es gewollt, dass bei seiner Ankunft der junge Graf und die Fremde nicht zugegen waren, und der Domherr vermied es darauf ein paar Tage hindurch, mit ihnen zusammenzutreffen. Endlich wünschte er, sie zu sehen, und ging nach dem Park, wo eben beide lustwandelten. Er traf sie, als sie gerade aus einem schattigen Gange kamen und auf einen freien sonnigen Platz traten. Leodogar wollte ihn umarmen, aber der Domherr wehrte ihn ab und warf einen strengen, strafenden Blick auf das Paar. »Wer bist du?«, rief er der zitternden Marchese zu, »Ein abgeschiedener Geist bist du nicht; denn als solcher könntest du mich nicht durch deine Hülle täuschen. Zu den lebenden Menschen kannst du auch nicht gehören, denn dawider zeugt der halbe und bleiche Schatten, den dein Körper von sich wirft: Im Namen Gottes sage mir, wer du bist?« Die Marchese erbleichte; doch in dem Augenblicke zog eine Wolke vor die Sonne, und nun ermannte sie sich und sagte: »Ich hätte nicht gefürchtet, hier ein Gegenstand des Spottes und Abscheus zu werden; bald soll ich ein Gespenst, bald irgendetwas anderes Unheimliches sein; bald misshandeln mich Wahnsinnige, bald betörte Greise; ist dieses die an den Deutschen so sehr gerühmte Gastfreundschaft?« Leodogar nahm nun das Wort und bat den Oheim, die Dame als seine geliebte Braut anzusehen und als solche ihr die Achtung widerfahren zu lassen, auf die sie mit Recht Anspruch machen dürfe. »Knabe«, rief der Domherr ergrimmt, »lehre du mich, was ich zu tun habe! Wer sie ist, wird im Kurzen klar werden.« Er ging nun schweigend fort und verschloss sich in sein Zimmer.
    Am folgenden Tage kam die Nachricht aus dem Kloster, dass Eugenie verschieden sei. Der Graf und die Gräfin beklagten schmerzlich das frühe Verbleichen dieser zarten Blume und, dass ein feindseliges Schicksal ihre Verbindung mit Leodogar verhindert habe. Der Domherr, der bei dieser Äußerung zugegen war, rief: »Klagt nicht das Schicksal an,
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