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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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fragte: »Wo ist denn der Tod?« Sie antwortete: »Siehst du ihn denn nicht? Da sitzt er ja neben Leodogar. Freilich hat er eine recht anmutige Hülle und ihr verblendeten Menschen lasst euch von ihm betrügen; aber mich täuscht er nicht: Ich sehe nur zu wohl den Totenkopf durch die lächelnden Züge grinsen!« Eugenie machte eine drohende Miene und legte den Finger auf den Mund, dann aber entsank ihr eine Träne und, um sie zu verbergen, verließ sie schnell das Zimmer.
    Leodogars Neigung zur Marchese nahm täglich zu und wurde allen bemerklich. Die Eltern warnten, die Braut weinte; aber er täuschte anfangs sich selbst über die Natur seiner Gefühle und, als er darüber nicht mehr im Zweifel stehen konnte, da suchte er die Seinigen zu hintergehen, indem er ein bloß freundschaftliches Verhältnis vorgab, welches er mit der Fremden ihrer geistvollen Unterhaltung wegen angeknüpft habe. Man widersprach ihm nicht, da man hoffte seine bessere Natur würde den Sieg über seine Verwirrung davontragen; allein er wurde immer mehr von den Reizen der Römerin gefesselt und konnte schon, ohne zu erröten, mit vollem Bewusstsein Vergleiche zwischen Eugenie und der Marchese anstellen, wobei denn die Erstere natürlich in seinen Augen verlor. Eugenie bemerkte solches und nun gab sie ihn für immer auf. Der Schmerz, der Eugenie über Leodogars Verlust ergriff, nagte tödlich an der Blüte ihres zarten Lebens; der Gram mahlte sich in ihren Zügen und Todesblässe bedeckte ihr Gesicht. Ihr sonst schwebender Gang wurde wankend, der Kummer brach von dem Kranz ihrer Reize eine Blüte nach der andren ab und sichtlich reiste sie dem nahen Grabe zu. Doch kam kein Vorwurf über ihre Lippen, kein trüber Blick, keine in Gegenwart anderer geweinte Träne klagte den Ungetreuen an; schweigend trug sie ihren Kummer und war ein rührendes Bild stiller Ergebung. Die Gräfin machte ihren Sohn auf die vergehende Gestalt Eugenies als eine Folge seines Kaltseins aufmerksam, und er war schlecht genug zu äußern: »Kränkelt Eugenie an der Eifersucht, so taugt sie zu meiner Gemahlin nicht, denn sie würde mich und sich unglücklich machen; leidet sie aber an körperlichen Schwächen, die der Heilkunst unbesiegbar sind, so passt sie noch weniger dazu, weil auf meiner Ehe die Fortdauer unseres Stammes beruht.« Die Mutter verließ ihn tief empört, doch machte sie ihm keine Vorstellungen weiter, weil er schrecklich nach dem Urteil einer kalt berechnenden Vernunft recht hatte.
    Dem Grafen und seiner Gemahlin wurde der Gedanke an eine Vermählung ihres Sohnes mit der Marchese Val Umbrosa, den sie anfangs mit Abscheu von sich gewiesen hatten, immer erträglicher, denn sie hätten doch noch so gern Enkel auf ihrem Schoße gewiegt. Sie überwanden daher den Widerwillen, von dem sie gegen die Marchese seit der Zeit erfüllt waren, als sie ihres Sohnes Herz von Eugenie abwendig gemacht hatte, und begegneten ihr mit Freundlichkeit. Eugenie aber schien seit der sichtlichen Abnahme ihrer Kräfte keine Ansprüche auf Leodogars Hand mehr zu machen, sondern im Gegenteil, seine Bewerbung um die Fremde zu genehmigen. Er hatte mehrmals eine Unterredung mit Eugenie über dieses Verhältnis anknüpfen wollen, sie aber jede Erklärung zwar sanft, aber bestimmt zurückgewiesen und ihre große Schwäche deshalb zum Vorwande genommen. Sie mied aber Leodogars und der Fremden Gesellschaft nicht, und auch Emilie erschien noch immer, wurde aber täglich stiller und stiller.
    Leodogar, dessen Laune jetzt zuweilen sehr schwankend wurde, wie solches denn bei jedem der Fall ist, dem eine Last das Gewissen beschwert, drang einst mit Ungestüm darauf, dass Emilie ein Lied singen sollte. Ihre Weigerung ließ er nicht gelten und bestürmte sie so lange, bis sie aufsprang und weinend rief: »Wohlan, du zwingst mich zu singen, miss es dir selbst bei, wenn mein Gesang dir ein übel tönender Unkenruf wird.« Sie holte aus einem andren Zimmer ihre Gitarre, die lange daselbst ungebraucht gelegen hatte, stürmte in wilden Akkorden durch die Saiten und sang dann mit beinahe tonloser Stimme ein Lied, dessen Inhalt eine Warnung gegen die Tücke der Italienerin war, die sie einen mordlustigen Unhold nannte.
    Als sie ihren Gesang geendigt hatte, sah die Marchese sie mit einem durchbohrenden Blicke an, der selbst Leodogar einen Schauder abrang. Aber Emilie richtete sich empor und rief: »Sieh mich nur drohend an und töte mich, wenn du darfst; ich fürchte dich nicht, du höllisches Gespenst!
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