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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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einige Erholung nottat. Die kurze Unterhaltung während der Tischzeit war hinreichend gewesen, alle Familienglieder zu überzeugen, dass die Anwesenheit der Fremden, statt den stillen häuslichen Freuden Eintrag zu tun, vielmehr eine Mannigfaltigkeit in dieselben zu bringen, sie also erhöhen würde, und man wünschte sich Glück zu ihrer Gesellschaft.
    Als die Familie am anderen Morgen sich zum Frühstück versammelte, sagte die Marchese, dass sie bei der Untersuchung ihres Gepäcks ein Kästchen mit Juwelen von bedeutendem Wert und wichtigen Familienpapieren vermisst habe. Da es unmöglich verloren oder gestohlen sein könne, sondern wahrscheinlich bei dem Einpacken in ihrem früheren Aufenthaltsorte in einer österreichischen Stadt zurückgelassen worden sein müsse, so habe sie ihre sämtliche Dienerschaft dahin geschickt, um es abzuholen, und im Fall, es abhandengekommen sein sollte, gerichtliche Hilfe nachzusuchen, um es wiederzuerlangen. Man billigte ihre genommenen Maßregeln und tröstete sie über ihren Verlust, der sie übrigens nicht sonderlich zu beunruhigen schien.
    So ruhig, wie man in dem zellsteinschen Hause bei der Anwesenheit der Marchese leben zu können gehofft hatte, ging es denn doch nicht zu. Der Anstand erforderte, dass man der Dame wegen Gesellschaften bat; man wurde nun wiedergebeten, alles drängte sich hinzu, die schöne Fremde kennenzulernen, jedes ebenbürtige Haus wollte an ihrem Umgange teilnehmen, und so reihte sich Fest an Fest, wovon Signora Val Umbrosa stets die Königin war.
    Dort in den hellerleuchteten Sälen im raschen Tanze sich drehend oder unter der Auswahl der geistreichsten jungen Männer, die ihr gleich einer Fürstin huldigten, da schien ihre Stelle zu sein, da bezauberte sie jedes männliche Herz, da riss sie jedes Weib zum Neid, aber auch zur Bewunderung hin. Bei ihrer Toilette schienen sie die Grazien selbst bedient und ihr Cythereas Gürtel [6] umgelegt zu haben. Gegen ihren Tanz hätte eine Gardel [7] verloren, vor ihrem Witz würde eine Ninon [8] sich gebeugt haben, und wenn sie im Anstande einer Königin, im streng sittlichen Benehmen einer Beaumont [9] glich, so schien sie doch dabei die Anspruchslosigkeit einer eben aufblühenden Jungfrau zu besitzen, der es noch nie eingefallen, dass sie auf Männerherzen einen Eindruck machen könnte.
    Eugenie, die sich stets in ihrer Nähe befand, erschien dabei offenbar in einem unvorteilhaften Lichte. Rauschende Feste waren ihr von jeher zuwider gewesen, und jetzt wurden sie es doppelt, da sie sich in die Wonnetage ihrer Liebe drängten und den Geliebten so manche Stunde von ihrer Seite entfernten. An Welten, Lebenslust und den angenehmen weiblichen Künsten, die auf das Gefallen berechnet sind, war die Italienerin ihr bei Weitem überlegen, und glich jene dem zart duftenden Veilchen, so musste diese dagegen mit der prangenden Rose verglichen werden, die den Preis unter allen Blumen des Gartens behauptet.
    Der Zeitraum, den die Marchese zu ihrem Aufenthalt in Zellstein bestimmt hatte, war verflossen, aber ihre Dienerschaft noch nicht zurück. Natürlich, dass man unter den Umständen sie bat, ihre Anwesenheit zu verlängern, ebenso natürlich, dass sie diese Einladung annahm. Übrigens waren der Graf, seine Gemahlin und Leodogar mit dem längeren Bleiben ihres reizenden Gastes sehr zufrieden. Nur eine Stirne verfinsterte, ein paar Augen trübten sich zuweilen über die Anwesenheit der Fremden; doch das bemerkte niemand, denn die sanfte Trauer dieses Gesichts sah kaum anders aus wie der ruhige Gleichmut einer stillen bescheidenen Seele und dafür nahm sie auch jeder. Eugenie nämlich bemerkte sehr wohl die Flammenblicke, so die Italienerin auf Leodogar warf, sah wie dieser davon getroffen, das Auge zur Erde senkte, dann es erhob und über die vollendete Gestalt der Fremden gleiten ließ; ihr entging es nicht, wie er von den Reizen der Marchese willkürlich ergriffen, wie er zerstreut und nachdenkend wurde, und sie ahnte nichts Gutes. Doch zu edel, um sich über eine so natürliche, als im Entstehen verzeihliche Empfindung ihres Geliebten zu beklagen, zu gut, um ihn durch Eifersucht zu kränken, verschloss sie ihre Furcht in sich und wachte über ihr Betragen, sodass sie von dem, was in ihr vorging, nichts verriet.
      
    Auf dem Pfarrhofe zu Zellenstein befand sich, als Leodogar noch im Knabenalter war, die Tochter eines Amtsmanns, die ihre Eltern früh verloren hatte und von ihrem Vormunde dem Pfarrer zur Erziehung
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