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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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zugestanden; deshalb ist die aktive femme fatale auch so bedrohlich. In sechs Geschichten geht es um ein Vampiropfer, das den rechtmäßigen Partner ablehnt. In Mays Episode spielt eine Variante eine Rolle: Der Knecht Andras begehrt seines Nächsten (des Sohnes seines Arbeitgebers) Weib (Verlobte). Das sind halt Kavaliersdelikte. Nun zu den schwerer wiegenden Fällen: Sacher-Masochs Protagonist Manwed verlässt nicht nur seine Aniela, er unterwirft sich auch einer femme fatale. Die Starostin Tartakowska ist eine Sadistin, die ihn langsam, sich an seiner Erniedrigung und seinen Qualen ergötzend, in den Ruin treibt. Doch für Manwed ist dies kein Martyrium, sondern durchaus mit Lust verbunden – er ist ein Masochist. Lange Zeit galt diese Haltung als genauso krankhaft wie die Homosexualität, auch wenn sie nicht gezielt verfolgt wurde. Analog dazu wird sie mittlerweile wie die Homosexualität weitgehend akzeptiert, auch wenn sie noch immer im Ruche der Perversion steht. Bei Manor und Har ist es einerseits Homosexualität – die lange Zeit, selbst noch in der BRD, unter Strafe stand – und andererseits Pädophilie – auch wenn Har ein Jugendlicher ist, wird seine Kindlichkeit doch sehr betont. Dieser Umstand dürfte vor 125 Jahren kaum ins Gewicht gefallen sein, heute erregt Homosexualität die Gemüter noch weniger als ein Ehebruch, dafür gehört Pädophilie aber zu den wenigen verbliebenen sexuellen Tabus. Damit zum anderen verbliebenen sexuellen Tabu: Inzest. Przybyszewski thematisiert völlig unverhohlen die erotische Liebe zwischen Bruder und Schwester. Zwar verdammt er sie als Vertreter der Décadence nicht, doch er lobt sie auch nicht – der Geist des Bruders ist ob der Krankheit verwirrt und die Schwester ist eher eine Getriebene. Hoffmann spitzt mit seinen Bündel gleich noch weiter zu: Er verquickt Polygamie, Ehebruch und Inzest in seiner verdorbenen Ménage-à-trois. Der zum Darwinismus neigende Löns thematisiert ein ganz anderes »Verbrechen« – sein Medizinstudent ist widernatürlich keusch. Keuschheit steht heute mehr noch als Masochismus im Ruche des Krankhaften – sie wird in den letzen Jahren immer weniger akzeptiert. Vielfach wird diskutiert, ob bei den gegenwärtig aufgearbeiteten Fällen von Missbrauch durch katholische Priester nicht der Zölibat eine zentrale Rolle spielte. Oftmals wird die sexuelle Perversion mit dem Scheusal Vampir zusammen vernichtet; welch ein Horror für den Sexualnormierer, wenn beides wie bei Sacher-Masoch bestehen bleibt.
    Das Thema Krankheit ist schon im Vampirglauben mit dem Vampir verbunden – man glaubte vielfach, wenn ein Familienmitglied nach dem anderen einer Krankheit erlag, dass der zuerst Gestorbene seine Verwandten als Vampir nachhole. Nach Kreuters »Der Vampirglaube in Südosteuropa« kann man Krankheitsdämonen – die personifizierten Krankheiten – zu den Ahnen der Vampire zählen; eine besondere Rolle könne man der in Bulgarien als altes Weib auftretenden edrica (Pocken) zuweisen.
    Bei sehr vielen Vampirgeschichten, aktuellen wie alten, scheint das Opfer langsam einer rätselhaften Krankheit zu erliegen. Hier war der Roman »Dracula« wiederum besonders prägend. Diese Schwäche-Krankheit findet sich auch in den meisten hier behandelten Geschichten, auch wenn ihr nicht immer so viel Aufmerksamkeit zukommt wie dem Leiden der Franziska von Fahnenberg. Heyses Oberst trifft die Schwäche ebenfalls hart – sie wird allerdings auf die unmäßige Anstrengung nach einer Kur gegen sein Rheuma zurückgeführt. Schön ist auch das Leiden des Medizinstudenten. Er führt seine Herzattacken zunächst auf den Prüfungsstress zurück: Stress passt gut zum von der toten Kaufmannstochter repräsentierten schlechten Gewissen. May ruft einen Klassiker auf: Seine bulgarische Pseudovampirin ist an den Pocken gestorben und holt nun ihren Verlobten nach. Hoffmann greift ein naheliegendes, aber selten verwendetes Krankheitsbild auf: Essstörungen. Mir sind schon kaum kranke Vampire bekannt, aber kein weiterer, der unter Essstörungen leidet. Irrsinn tritt ebenfalls häufig auf – in vier Geschichten sind es (potenziell) handfeste Wahnvorstellungen, in einer Geschichte geht es nur um fehlerhaftes Erinnern. Irrsinn ist allerdings ein auch jenseits der Vampirgeschichte vielfach verwendetes Stilmittel. Die Schauergeschichten der Romantik strotzen nur so vor Irrsinnigen. Eine Ausnahme ist wiederum Andrejanoffs Nacherzählung: Krankheit spielt keinerlei Rolle.
      
    Was
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