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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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verzichtet werden – fünf Geschichten kommen völlig ohne Jäger aus, in drei der verbliebenen sieben Geschichten ist die Position mit einer diffusen Dorfgemeinschaft besetzt, angeführt von Verwandten der Opfer wie Wlastan oder Lära. Grenzwertig ist die weise Frau aus »Manor«; sie verfügt über das nötige Wissen, wird aber nur im Rahmen der Dorfgemeinschaft tätig. Ein weiterer Grenzfall ist Graf Hyppolit. Er ist mehr Ermittler als Jäger: Er unternimmt nichts, um den Vampir zu vernichten, als ihn mit seinem Wissen zu konfrontieren. Auch Raupachs Zauberer ist vor allem ein übermächtiger Magier klassischen Zuschnitts – er ist ein geläuterter Merlin, den nichts mehr aus der Ruhe bringen kann. Auch ein Vampir ist nur eine Bagatelle. Nichtsdestoweniger verfügt er über das notwendige Wissen, um den Untoten zu vernichten. Sein Pendant ist Ritter von Woislaw. Der ist vor allem ein Krieger und Verwalter, also ein begrenzter Herrscher, der mitten im Leben steht. Neben seinem Mut und seiner Kampfkraft verfügt er ebenfalls über das Spezialwissen. Doch was beim Zauberer schlicht zum Handwerkszeug gehört, ist vom Krieger bloß zufällig erworben worden. Es bleibt Rauschnicks Domherr. Bei ihm ist das Spezialwissen am Ende vorhanden, doch vorher muss er es erst erwerben, was allerdings sehr beiläufig geschieht. Anders als der Zauberer und der Krieger repräsentiert er viel mehr den Typus des Gelehrten, dessen Stärke das Herausfiltern von Informationen ist; der Domherr verweist schon auf die sich später durchsetzenden Wissenschaftler, von denen Abraham van Helsing der bekannteste ist. Der Krieger als Vampirjäger wurde erst in jüngerer Zeit wieder beliebt – da seit Anne Rice’ »Interview mit einem Vampir« (1976) immer häufiger Vampire als Protagonisten auftreten, werden Jäger vermehrt als entfremdete Feinde verwendet. Diese Rolle lässt sich am leichtesten einigermaßen interessant und bedrohlich mit Kriegern besetzen.
    Und noch eine Nebenbemerkung: Nicht nur die Opfer der Vampire, auch die Jäger sind überwiegend männlich. Die einzige Ausnahme sind die Frauen Lära und die weise Frau, die dem homosexuellen Manor entgegentreten. Die beiden sind zwar in prominenter Position, aber nichtsdestoweniger in die Dorfgemeinschaft eingebunden.
      
    Wenn auf der Seite des Lebens mehrheitlich Männer zu finden sind, nimmt es kaum Wunder, dass die Rolle des Vampirs überwiegend weiblich besetzt wird: Es gibt sieben eindeutig weibliche Vampire und drei eindeutig männliche Vampire. Hoffmanns Vampirtrio ist wie stets uneindeutig. Als Letztes bleibt Manor; seine Homosexualität macht ihn zwar nicht weiblich, aber auch nur bedingt männlich – er gehört dem »dritten Geschlecht« an, in dem Attribute vereinigt werden, die im gewohnten Männlich-weiblich-Schema getrennt auftreten. Dennoch ist das Gegenstück zur femme fragile, die femme fatale, eine aggressive, fordernde, letztlich männermordende verführerische Schönheit, eher selten. Nur Brunhilde, die Marchese Val Umbrosa und besonders die Starostin Tartakowska erfüllen die Bedingungen gut. Für die femme fatale braucht es einen starken Mann, der die starke Frau vernichtet: Brunhildes übermenschlicher Schöpfer, der gottgleiche Zauberer, der seinem Adam/Walter seine erste Frau Lilith/Brunhilde wiedergab, gibt ihm auch die Mittel, sie ihm wieder zu entfernen; freilich ist er nicht allmächtig und kann das Wesen der Menschen nicht ändern, was zu Walters Fall führt. Die Marchese konnte ihre Aufgabe, die Vernichtung des letztlich schwachen Leodogar, erfüllen, bevor sie wiederum vom der Seele nach übermenschlichen Domherrn vernichtet wird. Krieger Woislaw, der dritte Vampirjäger, zieht nicht einmal gegen eine Frau zu Felde, sondern gegen einen männlichen Vampirkrieger. Tartakowska, die dritte femme fatale, hat das Glück mit dem Masochisten Manwed auf einen Mann zu treffen, der sie zumindest für eine gewisse Zeit ertragen kann – so lässt sich mit etwas Ironie über das Ende sagen: Und wenn er nicht gestorben ist, dann leben sie noch heute. Dem Thema wird relativ viel Aufmerksamkeit gewidmet. Angelika Schoder betrachtet Sacher-Masochs Tartakowska in ihrer Monografie »Blutsaugerinnen und Femme Fatales« und Hans Richard Brittnacher Przybyszewskis Agaj und Löns’ Kaufmannstochter in seinem Artikel »Phantasmen der Niederlage«.
    Nach Brittnachers »Ästhetik des Horrors« ist der Vampir der Snob unter den Monstern: »Rund 70 % aller literarischen
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