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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen
Autoren: Oliver Kotowski
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nicht kommen kann. Dass er keine normale Nahrung zu sich nimmt und seine Verknüpfung mit dem Traum weisen dagegen bloß auf die spätere Verwendung in der Literatur hin.
    Ein weiteres Kuriosum ist Woislaws mechanische Hand. Sie knüpft an die in der Romantik beliebten Automate an und scheint wie jene von jeglicher Mystik befreit. Allerdings lässt der Text ein Verständnis von der Funktion derartiger Prothesen vermissen – sie verstößt genauso sehr gegen die Naturgesetze wie der Vampir. Dennoch scheint sie für den Triumph der Wissenschaft über den Aberglauben zu stehen.
    Trotz der Nähe zur Romantik gehört die Geschichte also vermutlich nicht dazu. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass der Autor bewusst auf die Stilmittel der Romantik zurückgriff, vielleicht weil das Vampirmotiv für ihn untrennbar mit ihr verknüpft war. Die realistischen Tendenzen und das entwickelte Vampirmotiv lassen jedoch auf einen späteren Zeitraum schließen. Ich vermute, dass der Entstehungszeitraum näher am Jahr 1860 als am Jahr 1830 liegt.
    Über die Herkunft des Autors lässt sich nur wenig sagen. Die Fahnenberg-Familie stammt aus Österreich, doch die Österreicher werden generell als schwächliche, langweilige, aber gute Verwalter beschrieben. Der Schlesier Woislaw tritt dagegen als kriegsbereiter Abenteurer und Aufsteiger auf; ohne Woislaws Hilfe wären die Fahnenbergs verloren. Man mag dies als Reflexion auf den Niedergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und den bellizistischen Aufstieg Preußens sehen. Da der Autor Österreich, ohne zu zögern, Deutschland zuordnet, ist er anscheinend ein Anhänger der großdeutschen Lösung. Doch einen klaren Hinweis auf die Herkunft des Autors kann ich dem nicht entnehmen.

Anhang B

— Tendenzen der deutschen Vampirliteratur des 19. Jahrhunderts
    Im Folgenden sollen einige Tendenzen im Zusammenhang mit der Verwendung des Vampirmotivs herausgearbeitet werden. Dabei muss klar sein, dass die folgenden Überlegungen nicht abschließend sein können, da sie nur eine Auswahl der veröffentlichten Texte betreffen. Es gibt die in der Einleitung angesprochenen Nachahmer wie die Vampir-Episode in J. P. Lysers »Abendländische Tausend und eine Nacht« von 1838, dem die existierenden Vampirsagen zu grässlich waren und der daher selbst ein auf den Motiven Byrons und Polidoris basierendes Kunstmärchen verfasste. Es gibt so bizarre Stücke wie Joseph Freiherr von Auffenbergs »Das Nordlicht von Karlsruhe« aus dem Jahr 1843, eine schräge Verwechslungskomödie um Lord Ruthwell und Lord Ruthven. Und es gibt so gelungene Beiträge wie Theodor Hildebrandts »Der Vampyr oder: Die Todtenbraut. Ein Roman nach neugriechischen Volkssagen« von 1828, dessen Neudruck durch den Verlag Udolpho Press leider noch aussteht. Es bleibt die Hoffnung, dass die von Clemens Ruthner angekündigte umfassende Analyse in Bälde erscheint.
    Ich will die Betrachtung mit den Schauplätzen beginnen. Brittnacher stellt in »Ästhetik des Horrors« die Behauptung auf, die Schauplätze seien eine Ikonografie des Todes. Seine diesbezügliche Beobachtungen sind für die Werke des 19. Jahrhunderts weitgehend zutreffend. Zugespitzt gesagt: Die Schauplätze spiegeln vielfach den Konflikt zwischen Leben und Tod wieder. Auf der einen Seite weilt die Gesellschaft der Lebenden an Orten reger Betriebsamkeit – Schlösser oder Anwesen voller meist nicht erwähnter Diener. Eine gewisse Ausnahme stellen Ulrichs »Manor« und Andrejanoffs »Der Vampir« dar, denn dort sind es Dörfer statt Schlösser, doch auch diese sind voller Betrieb. Auf der anderen Seite ist der Vampir mit klassischer Architektur des Todes verknüpft: Sie kommen von Friedhöfen, aus Krypten oder hausen in verfallenen Ruinen. Von diesen Orten des Todes aus dringen sie in die Welt der Lebenden ein; meistenteils müssen die Lebenden wiederum an die Orte des Todes gehen, um die vampirische Bedrohung endgültig auszuschalten.
    Bei einigen Geschichten fehlt diese Wechselwirkung. Bei Spindler und May hängt es vor allem damit zusammen, dass es keinen echten Vampir, sondern nur Pseudovampire gibt. Nichtsdestoweniger spielen Friedhöfe, auf denen der vermeintliche Vampir lokalisiert wird, eine gewisse Rolle. Bei beiden geht allerdings keine Gefahr davon aus, auch wenn bei Spindler die Wechselwirkung schwach reflektiert wird: Der Pseudovampir beginnt sein zweites Leben auf dem Friedhof, allerdings flüchtet er, statt von dort in die Räume der Lebenden
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