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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Anleitung eines anderen zu bedienen. So hatte der Königsberger Philosoph die Frage »Was ist Aufklärung?« selber beantwortet.
    Voraussetzung für gelebte »Aufklärung« ist das so bescheidene wie anspruchsvolle, das so selbstkritische wie selbstgewisse, das so in-sich-gekehrte wie der Welt in praktischer Vernunft zugewandte Individuum.
    Der Einzelne bedarf eines gesellschaftlichen Leibes, also auch der Institutionen, in denen unsere Verantwortung für das Ganze wie für uns selbst gleichermaßen gefordert wird. Freiheitssinn mit Gemeinsinn zu verknüpfen, das bleibt eine Grundvoraussetzung gedeihlichen Zusammenlebens. Selbstverwirklichung ohne Bezug zur Gemeinschaft produziert Selbstdurchsetzung in einer Ellbogengesellschaft.
     
    »Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele«, diese Botschaft Jesu mahnt alle, die materiellen Gewinn mit Lebensglück, Lebenssinn, Lebenserfüllung verwechseln. Leo Tolstoi hat dazu eine eindrückliche Parabelgeschichte geschrieben. »Wieviel Erde braucht der Mensch?« – schließlich so viel, wie man braucht, um ihn hineinzulegen.
    |12| Die Verführbarkeit durch materielle Glücksversprechen hat Menschen stets davon abgehalten, sich mit sich selbst zu beschäftigen, den Reichtum zu entfalten, der sie selber sind. Wer nur nach Gewinn fragt, den kümmern (Neben-)Folgen seines Tuns wenig.
    Demgegenüber gilt es – in unserer Zeit noch dringlicher als früher –, diejenigen Lebenswerte herauszufiltern, die ein Leben wert-voll machen.
    Wer sich dabei die Kulturgeschichte vergegenwärtigt, nach geistigen Ursprüngen fragt, soziale, politische bzw. nationalistische und religiöse Interessenkonstellationen überprüft und in allem nach den zu beherzigenden Lehren aus menschlicher Geschichte fragt, ist nicht rückwärtsgewandt – sofern er versucht, das aufzuheben, was an bewährten Lebensweisheiten, Lebenswerten und Lebensaufgaben überliefert ist.
    Wir sind als vergängliche Menschen lebensfrohe und todesbewusste Wesen, die das Glück gerade wegen seiner Vergänglichkeit erfahren können. Glück scheint auf im Genießen wie im Sich-Freimachen von den Dingen der Welt. Freiwilliges Maßhalten und bewusste Askese, also der freiwillige Akt, auf vieles zu verzichten, was möglich oder angenehm ist, ist keine Forderung von griesgrämigen Sinnenverächtern, sondern Ausdruck innerer Freiheit, die äußere Bewährung sucht – mit Willenskraft und Geduld.
    Der autonome, der freie Mensch ist zugleich der auf den anderen Menschen und dessen Glück bezogene Mensch. Glück haben wir nie nur für uns selber.
     
    Das ist gut
    Keinen verderben lassen,
    auch sich nicht Jeden mit Glück erfüllen,
    auch sich
    das ist gut.
    (Bertolt Brecht)
     
    Freiheit ist ebenso an Verantwortung gekoppelt, wie der Einzelne an das Leben in der Gemeinschaft gebunden ist.
    |13| Bloße Freiheit führt zu Selbstbezogenheit und Willkür; bloße Verantwortung zu »Gesetz« und außenbestimmtem Gehorsam. Bloße Betonung des Individuums würde Egoismus bedeuten, bloße Betonung der Gemeinschaft Verlust des ganz Individuellen.
    Wer sich mit anderen zusammen bildet, bindet sich zugleich an die anderen – als ein Freier, der sich dessen bewusst bleibt, dass er seine Freiheit anderen verdankt, die ihm Entfaltungsfreiheit lassen.
    Geben-Können ist genauso zu lernen wie das Nehmen-Können.
    Aber dem ethischen Dilemma entgehen wir auch mit der schönsten Maxime nicht. Was ich zum Beispiel dem einen zuwende, entziehe ich dem anderen, obwohl beide meines Einsatzes bedurft hätten. Oder: oft spüre ich, dass all mein Tun und Lassen »falsch« ist – und trotzdem versuche ich, wenigstens das mir besser Erscheinende zu tun, die Schere zwischen Wollen und Vollbringen nicht verschweigend. Manche schmerzliche Maßnahme ist nötig, wird aber erst in längerer oder späterer Perspektive als etwas Förderliches erfahren. Und was ist, wenn die Mehrheit der Leute etwas für gut hält, was nur (gruppen-)egoistisch, inhuman oder letztlich für alle zerstörerisch ist? Schließlich reicht heute eine nur am Menschen und seinen (kurzfristigen) Bedürfnisse orientierte Ethik nicht mehr aus – Ethik muss das Eigenrecht der Natur sowie deren längerfristige Regenerationsfähigkeit umfassen. Auch zum Nutzen der Menschen.
    Und das Unlösbare wird nicht dadurch besser, dass du dir daran die Zähne ausbeißt, deine Nerven zermürbst, dir deinen Schlaf raubst oder rauben lässt.
    Dem Pietisten
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