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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Arbeitslosen zu diffamieren. Die Regierenden gaben lange vor, die Kritik an den Hartz-IV-Maßnahmen gehe vor allem auf ein Vermittlungsproblem zurück. Man müsse den Menschen die Sache »besser erklären« und das Prinzip Fördern und Fordern konsequenter umsetzen. Wenn es aber tatsächlich ein Problem der Vermittlung gibt, dann hat es einen anderen Kontext: Viele Politiker haben offensichtlich keine Ahnung mehr, wie es ihren Wählern ergeht. Sich in die Betroffenen von Hartz IV hineinzuversetzen, gelänge ihnen vielleicht erst dann, wenn auch ein entlassener Minister nach einem Jahr Arbeitslosigkeit mit 345 € auskommen müsste. Man könnte ja dann auch ihn damit »beruhigen«, dass er noch Wohn- und Heizungskostenzulage bekommt – natürlich nur, wenn seine Familie nicht in der Lage wäre, ihn mitzuversorgen.
    Liebe Politiker, eine Frage: Geht es euch eigentlich persönlich etwas an, was ihr da entscheidet? In euren Gesichtern zumindest ist nicht ein Deut Mitgefühl zu erkennen mit denen, die fürchten müssen, in existenzielle Armut zu kommen und entwürdigt leben zu müssen. Stattdessen begegnet uns allzu oft eine maßlos menschenverachtende Arroganz im Umgang mit der Problematik. Welche Sprache war das, die im August 2005 in der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit herausgegebenen Broschüre »Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, ›Abzocke‹ und Selbstbedienung im Sozialstaat« bemüht wurde? Dort wurde – ohne konkrete Belege heranzuziehen – der Eindruck erweckt, dass ein großer Teil der Arbeitslosengeld-II-Empfänger die Unterstützung nicht rechtmäßig erlange. Es wurde Stimmung gemacht gegen »Schmarotzer«, »Trittbrettfahrer« und »Parasiten« des Sozialstaats. Solche Worte waren harte Schläge ins Gesicht aller Arbeitslosen, und sie signalisierten, dass zu den bestehenden Rissen in unserer Solidargemeinschaft |26| ein neuer Graben zwischen den »Anständigen« und den »Abzockern« kommen sollte.
    Wenn die Regierenden ihre Bürger zu diffamieren beginnen, um von der eigenen Hilflosigkeit abzulenken, beschädigt das vor allem die Regierungsparteien und unser demokratisches System selbst. Die Wahlbeteiligungen und -ergebnisse zeigen seit Jahren, dass die bisherigen Volksparteien dabei sind, ihr Image zu verlieren, vor allem aber ihre Substanz. Die Politiker sollten wissen, dass durch eine inhaltlich bessere Vermittlung von Absichten und Vorteilen der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe keine neuen Arbeitsplätze entstehen. Die Verantwortlichen müssten auch Antworten geben auf die Frage, die Jürgen Rüttgers aufgeworfen hat: Soll nicht jemand, der längere Zeit Arbeitslosengeld eingezahlt hat, auch mehr bekommen als der, der nur kurz eingezahlt hat? Wie lässt sich so etwas praktisch gerecht regeln, zumal wenn derjenige, der noch nicht länger eingezahlt hat, einfach nur das Pech hatte, nicht länger einzahlen zu können?
    Werden durch die Begrenzung des Arbeitslosengeldes auf 12 bis 18 Monate besonders diejenigen betroffen sein, die sparsam gelebt und gespart hatten, und diejenigen belohnt, die alles Geld ausgegeben haben?
    Die entscheidende Frage ist aber: Ist Hartz IV die einzige und die einzig richtige Antwort auf die Unbezahlbarkeit von hoher Arbeitslosigkeit? Hatte nicht vielleicht Oskar Lafontaine Recht, wenn er den Keynesianismus unter heutigen Bedingungen weiterführen und so eine stärkere Nachfrage schaffen wollte – statt eine bloß angebotsorientierte Politik? Staatlich initiierte Konjunkturprogramme hätten zwar zunächst die Staatsverschuldung noch weiter erhöht, aber den Wirtschaftsaufschwung wahrscheinlicher gemacht. Die meisten Politiker haben nach schnellen Lösungen für die Probleme gesucht, und mit Hartz IV wurde eine Antwort gefunden, die den Sozialstaat durch ein Suppenküchen-Prinzip ersetzt hat.
    Staatliche Unterstützung ist heute wieder ein Almosen, das die Bessergestellten geben, um weiterhin ihren Reichtum genießen zu können.
    |27| Natürlich: Die Freigesetzten des Marktes sind tatsächlich auf die staatliche und karitative Notversorgung angewiesen. Die Solidarität der Bessergestellten mit den Schlechtergestellten ist gefragt. Sie müssen zeigen, dass sie bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, statt den anderen nur zu sagen, dass »der Sozialstaat erschöpft« sei und jeder mehr Eigenverantwortung übernehmen müsse. Die Leistungsfähigeren können ja durchaus »besser gestellt« sein und Vermögensunterschiede
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