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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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sein. Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge beurteilte in einem Interview in der
Berliner Zeitung
vom 31. Juli 2006 die bisherige Arbeit der CDU/SPD-Regierung so: »Die Politik der Großen Koalition vertieft die gesellschaftliche Spaltung – beispielsweise durch Rentenkürzungen, den Ausbau eines Niedriglohnsektors, die Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie das Senken der Unternehmens- und Erbschaftssteuern gerade für die Reichsten im Land. Daneben stehen die Hartz-Gesetze für eine Abkehr vom Sozialversicherungsstaat und eine Hinwendung zum Almosen- und Suppenküchenstaat. Ich sehe sie weniger als arbeitsmarktpolitisches, sondern eher als ein gesellschaftspolitisches Projekt. Hartz IV ist darauf gerichtet, Armut bis in die Mitte der Gesellschaft hinein normal werden zu lassen. Gleichzeitig wächst der Reichtum jeden Tag.«
    Arbeitsmarktstimulierende Maßnahmen wie Hartz IV bei gleichzeitiger Steuerentlastung für die Großbetriebe bringen nicht
mehr
Arbeit, aber weniger Geld in die Staatskasse. Wirtschaftspolitik heißt heute unter den Zeichen der Liberalisierung vornehmlich: Entgrenzen, Entbürokratisieren, Entstaatlichen. Der Mainstream desavouiert den Staat nach wie vor als Akteur im Wirtschaftsleben; »dem Staat« wird verfehlte Planwirtschaft, Bürokratie, Korruption, Insuffizienz und Marktverzerrung vorgeworfen; Deregulierung und Flexibilisierung gelten als Zauberworte. Die Starken (oder Guido-Halbstarken) haben sich im öffentlichen Diskurs durchgesetzt. Sie brauchen den Staat natürlich weniger als die Schwachen. Ich stimme ihnen zu: Leistungsfähigkeit und Leistungswille müssen honoriert werden. Und ich halte ihnen entgegen: Leistungsanreiz und Leistungsverteilung sind zwei Seiten einer Medaille. Ein Staat ist auch für die Verteilungsregeln zuständig: Stärkere Schultern können mehr tragen als schwache. Bei unverschuldeter Armut oder Unfähigkeit, für sich zu sorgen, muss die Solidargemeinschaft helfen.
    |24| Die Regierenden drohen die Kompetenz zur Regelung sozialer Missstände zu verlieren. Die Freiheit, unverschämt zu verdienen, wird größer. Weniger Staat heißt auch: immer mehr Macht für die, die das Geld haben und mit dem Geld Einfluss auf alle Gesellschaftsbereiche bekommen. Diese Einflussnahme wird nicht mehr demokratisch kontrolliert, sondern ist einzig eine Frage der ökonomischen Potenz.
    Die »neue soziale Marktwirtschaft« kann als Feigenblatt des Neoliberalismus dienen. Eine sozialdemokratische oder eine christliche Partei, die »nötige Abstriche« nur bei den Ärmeren verlangt und nicht in angemessener, also proportionaler Weise die Reicheren nötigt, ihren Anteil zum Funktionieren des Gemeinwesens beizutragen, fährt sich selbst in die Sackgasse und wird ihrer gesellschaftlichen Funktion, politischer Anwalt der Schwächeren zu sein, nicht mehr gerecht. Das haben die Leute verstanden und bei den letzten Bundestagswahlen 2002 und 2005 den großen Parteien eine Absage erteilt. Die Lehre aus schlechten Umfragewerten zog im Sommer 2006 offenbar der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Er warnte seine Partei, die CDU, nicht als eine kapitalistische Partei zu erscheinen, und mahnte in deutlichen Worten, sich von »ökonomischen Lebenslügen« zu verabschieden, wie der, dass Steuersenkungen zu mehr Arbeitsplätzen führen würden. Doch das war nur eine einzelne Stimme und führte (natürlich) nicht zur Änderung der offiziellen Parteipolitik. Warum traut sich niemand, die Stärkeren nach ihren jeweiligen Möglichkeiten »zur Kasse zu bitten«, statt die Schwächeren einseitig zu belasten? Wäre es nicht ein Symbol und Signal, wenn alle Gehälter von Personen, die im öffentlichen Raum mehr als 3500 € Brutto verdienen, um 10 Prozent gekürzt würden und alle Gehälter über 10   000 € um 25 Prozent?
    Wie krank ist eine Gesellschaft, in der ein Manager eines »feindlich übernommenen Konzerns« 770   000 € wegen Lebensstandardsicherung aufgrund seiner jungen Frau erfolgreich einklagen kann?! Was muss eigentlich jemand leisten, wenn er 300   000 € oder gar 7,8 Millionen € Jahresgehalt bekommt? Wie klein, wie leistungsschwach oder wie unfähig muss sich angesichts |25| solcher Zahlen ein normaler Mensch vorkommen, der täglich mit ganzem Einsatz seine Arbeit tut?
    Es ist in Deutschland längst eine nicht mehr hinnehmbare Gerechtigkeitslücke entstanden. Und den meisten Politikern fällt nichts anderes ein, als fortlaufend zu beschwichtigen bzw. die
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