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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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aus Verantwortung gegenüber anderen denken und altruistisch handeln, ist nicht zu bestreiten. Es ist aber nicht den Marktprinzipien selbst immanent, sondern wirkt im ökonomischen Denkschema sogar eher kontraproduktiv. Denn die Moral des reinen Marktes ist einfach. Sie lautet: Gewinn und Effizienz.
    |19| Sofern der Markt nicht völlig ungehemmt regiert, ist wirtschaftliches Gedeihen – also ökonomischer Erfolg von Einzelnen, von Firmen, von Ländern – an und für sich moralisch nicht negativ zu bewerten. Die wachstumsorientierte Wirtschaftsweise in der Industriegesellschaft hat ja unbestreitbare Erfolge erzielt und einen in der Menschheitsgeschichte bis dahin unvorstellbaren allgemeinen Wohlstand gebracht. Dieser Erfolgsweg lässt sich jedoch nicht fortsetzen. Der
Datenreport 2006
des Statistischen Bundesamtes enthielt eine gute und eine schlechte Nachricht: Der Anteil der Deutschen, die in Armut leben, ist von 13,7 Prozent im Jahr 2003 auf 13,2 Prozent im Jahr 2005 gefallen. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung aber hat zugenommen: Während die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung über nicht einmal 10 Prozent der Einkommen verfügten, erhielten die reichsten 20 Prozent der Bürger 35,9 Prozent aller Einkommen. Mit anderen Worten: In Deutschland wird die Kluft zwischen Arm und Reich tiefer und breiter.
    Das also ist das Ergebnis der sogenannten »neuen sozialen Marktwirtschaft«.
    Erinnert sich noch jemand, wozu soziale Marktwirtschaft eigentlich erdacht worden ist? Ihr Ziel war die Vereinbarkeit der größtmöglichen Freiheit mit den Prinzipien der Gerechtigkeit. Der Staat behielt sich als Sozialstaat das Recht vor, gegebenenfalls umverteilend in das Wirtschaftsleben einzugreifen, um so soziale Gerechtigkeit und Gleichheit der Bürger zu gewährleisten. Die Teilhabe aller an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen sollte gesichert und die Bürger sollten vor Notlagen bewahrt bzw. ihnen sollte im Fall der Not Hilfe angeboten werden. Die soziale Marktwirtschaft schien das System zu sein, das am ehesten die Gesetze des freien Marktes und Gemeinwohl ökonomisch-sozial und ordnungs-politisch versöhnen konnte. Den Markt an die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit zu binden, das war, ist und bleibt eine wichtige Idee, ja eine überlebensnotwendige Aufgabe. Nicht umsonst genießt das Sozialstaatsprinzip neben der Menschenwürde und den Menschenrechten den Schutz durch die Ewigkeitsklausel (Art. 79, Abs. 3) unseres Grundgesetzes. |20| Doch nur solange starke Interessengruppen sich für eine Bändigung des total freien Marktes einsetzen und die Wirtschaft prosperiert, lassen sich die Markt-Mächtigen auf die Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit ein. Im härter gewordenen Kampf um die Marktanteile in der globalisierten Wirtschaftswelt wird der soziale Ballast als Erstes über Bord geworfen.
    Wir nähern uns immer mehr dem totalen Markt. Dessen Gesetze sind Darwin’sche Gesetze, sind Machtgesetze, sind Verdrängungsgesetze. Das Gesunde überlebt, das Schwache wird vom Stärkeren verdrängt und verschwindet. Besser und stärker sein heißt, effizienter zu sein. Die Mitte allen Denkens und Handelns ist das Börsenwohl, d. h. das Wohl der Aktionäre. Alles, was dem Markt dient und die Marktchancen verbessert, gilt als gut. »Rechnet es sich?« Das ist heute die alles entscheidende Frage. Was sich nicht rechnen lässt, ist nichts. Nicht, ob etwas gewollt ist – »schön und gut« –, ist entscheidend, sondern ob das Geld dafür da ist, wer es hat, wer es erarbeitet, wer darüber so verfügt, dass er es »locker machen« kann. Gewinner werden geliebt und hofiert; Verlierer werden bedauert und bald vergessen. Jeder will Erfolg haben, jeder auf seine Weise vor sich und vor anderen bestehen können. Das einzige Gemeinschaft stiftende Band zwischen den Menschen ist »das nackte Interesse«, »die gefühllose bare Zahlung«. So hat es Marx schon 1848 im
Kommunistischen Manifest
formuliert.
    Wir erleben seit Jahren die ständige Effizienzsteigerung der Wirtschaft. Durch Modernisierung wird mehr und mehr lebendige Arbeit erübrigt, und Menschen werden massenhaft »freigesetzt«. Oder Produktion wird ausgelagert in »Billiglohnländer«. Hemmungslos geworden ist der ungebändigte Kapitalismus. Die alleinige Orientierung am Profit hat eine Kluft entstehen lassen zwischen denjenigen, die (noch) für den Arbeitsmarkt verwertbare Leistungen erbringen können, und denjenigen, die aus ökonomischer Sicht nicht mehr
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