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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Oetinger wird die wunderbar entlastende Gebetsweisheit zugeschrieben:
     
    Gib mir die Gelassenheit,
    Dinge hinzunehmen,
    die ich nicht ändern kann;
    gib mir den Mut, Dinge zu ändern,
    die ich ändern kann,
    und gib mir die Weisheit,
    das eine vom andern zu unterscheiden.
     
    |14| Es muss eben nicht alles geändert werden. Das Neue ist nicht eo ipso das Bessere. Was sich bewährt hat, soll bewahrt und das gestern Errungene nicht einfach als etwas Altes qualifiziert werden. Es ist nicht »alles frisch«, was so dekoriert wird, ob im Laden, auf dem Bildschirm oder in der Zeitung.
    In unserer ziellos rasenden Welt ist eine Ethik der Bewahrung vonnöten – in radikaler und selbstkritischer Prüfung aller Daten, Fakten, Erfahrungen und Prognosen. Und ohne Rückbindungen an Überkommenes und Unverfügbares, also ohne Re-ligio, wird das kaum gelingen, aber auch nicht ohne kommunizierbare Vernunft, die auf freie Einsicht möglichst vieler in das Notwendige aus ist.
    Das Aktive und das Kontemplative brauchen und bedingen sich gegenseitig. Gelassenheit wird zur Kraftquelle für das Tun.
    Lass es gut sein – und lass es nicht so sein, wenn es nicht gut ist.
    Du kannst nicht viel tun, aber was du tun kannst, das tu. Das Eigene.

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    |15| FREIHEIT ohne Grenzen ist Willkür
    Freiheit und Brot
    Jedem Einzelnen wird etwas zugetraut – zugetraut, an der Befreiung anderer teilzunehmen: nicht auf bessere Zeiten zu warten, nicht auf die Großen zu warten, nicht mehr endlos darüber nachzudenken, was anders werden müsste, nicht bloß zu appellieren und demonstrieren, sondern selber etwas zu tun, etwas zu riskieren. Der Prophet Jesaja rief dem Volk zu:
    »Laß los, die du mit Unrecht gebunden hast, laß ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst. Reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte.« (Jesaja 58, 6–8)
    Das Erste, für das wir einzustehen haben, ist die Freiheit: den anderen aus dem Joch lösen. Es folgt sogleich die Gerechtigkeit – genauer gesagt: Dem Befreien folgt das Mahl der Freien. Es gibt keine Freiheit ohne Brot. Die Freiheit, die das Brot nachordnet, ist immer die Freiheit der Habenden. Und umgekehrt gilt auch: Nicht zuerst das Brot, wenn um des Brotes willen die Freiheit verkauft wird. Albert Camus meinte, dass es für uns nur eine einzige Parole geben könne: »In nichts nachgeben, was die Gerechtigkeit betrifft, und auf nichts verzichten, was die Freiheit angeht. Die Freiheit wählen heißt nicht, gegen die Gerechtigkeit wählen. Wenn euch jemand euer Brot entzieht, beraubt ihr euch gleich eurer Freiheit, aber wenn jemand euch eurer Freiheit beraubt, dann wisst, dass euer Brot bedroht ist, denn es hängt nicht mehr von euch und eurem Kampf ab, sondern von der Eigenmächtigkeit irgendeines Herrn. Je weiter die Freiheit an Boden verliert, desto mehr wächst das Elend und umgekehrt. |16| Die Unterdrückten wollen nicht mehr nur von ihrem Hunger befreit sein, sondern auch von ihren Herren.«
    Soweit Camus. Freilich: Wer erst einmal wohltemperiert lebt, dem vergehen die radikalen Gedanken. »Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm«, singt Mäckie Messer in der »Dreigroschenoper«. Aber Wohlstand verführt dazu zu vergessen, woher man kommt, was man hinter sich hat, wofür man und wem man dankbar sein kann. Wo es Menschen zu gut geht, geht es um nichts mehr als um
noch
mehr. Hohem Blutfettspiegel folgt alsbald Herzverfettung. Und Fettprobleme haben sicherlich viele Deutsche. Daher boomt die Fitnessreligion als Leibesexerzitium.
    Nie ist man im Denken träger als nach einem fulminanten Essen. Das hat wohl jeder schon erlebt: Da fließt alles Blut in den Magen und nicht mehr in den Kopf. Wer zu satt ist, verdrängt allzu schnell, wie es zuzeiten von Hunger und Unterdrückung gewesen war. Vergessen wir in Deutschland nie die wiedergewonnene und gefahrenüberwindende Freiheit – ob in Erinnerung an zwölf Schreckensjahre rassistischer (Selbst-)Versklavung oder an vierzig Jahre Welterlösungsdiktatur.
    Satte Zeit kann unmerklich tote Zeit werden. Nie ist es langweiliger, als wenn man alles
hat
und nichts mehr
will
oder nur noch krampfhaft behalten will, was man hat – unabhängig davon, ob man es braucht.
    Aber die fetten Jahre sind vorbei – Anfang des 21. Jahrhunderts ist in
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