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Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen
Autoren: Teresa De Sio
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Gleichgewicht. Sie ist als Haremsdame verkleidet und trägt ein himmelblaues Kostüm
mit Goldbordüren sowie eine Reihe von bunt zusammengewürfelten Schleiern, Seidentüchlein und Schärpen, aus denen vor allem der Bauch hervorblitzt. Da es geregnet hat, hat sie sich eine große Regenplane über den Kopf gezogen, die ihr ein benachbarter Standbesitzer geliehen hat, und ist darunter eingenickt. Jetzt sieht sie unter dem ganzen Gewühle aus Plane und Schleiern wie ein gewaltiges Zirkuspferd aus oder wie eine alte Vettel, die von einer Truppe fahrender Zigeuner zurückgelassen wurde. Signora Siani gibt vor, sie nicht zu sehen, um nicht zu einem Gruß genötigt zu sein, und fragt sich aufrichtig, wie es überhaupt möglich sein kann, dass ein solches Wesen existiert. Eine Frau, die es zu rein gar nichts im Leben gebracht hat, die sich bloß vollstopft und betrinkt, bis sie platzt, ganz zu schweigen von all den anderen Dingen, die man sich so über sie erzählt … Geschichten über die vielen Männer, die sie im Bett gehabt hat, als sie noch so schön und von leichtem Lebenswandel war, dass sie selbst dem Heiland den Kopf verdreht hätte, und Geschichten von all den geheimen Kindern, die sie zur Welt gebracht haben soll, der Frucht heimlicher Liebschaften mit mächtigen Männern. Ach, so viele Geheimnisse weiß man im Dorf zu berichten … Gewiss, denkt Signora Siani, und schau sie dir jetzt an! Eine Frau, die es nicht geschafft hat, mit ihren Pfunden zu wuchern und ihr üppiges Fleisch in die Waagschale zu werfen, so wie sie es selbst bei ihrem Gatten, dem Bürgermeister, getan hat. Deshalb keinerlei Vertraulichkeiten! Und so bleibt sie nicht stehen, sondern geht schnurstracks weiter, die Gemahlin des Bürgermeisters, damit niemand auch nur einen Moment lang dieses Sinnbild schlechten Lebenswandels und tiefsten Unglücks, für das
die Sapúta steht, mit ihr in Verbindung bringt! Überhaupt liegt ihr, der Signora Siani, viel daran zu zeigen, dass sie in ihrer gesellschaftlichen Stellung nichts mit dieser Bande von Dummköpfen und Nichtsnutzen zu tun hat, die ihr halbes Leben in der Annahmestelle herumlungern und nur von den »guten« Zahlen reden, die irgendwelche Verwandten aus dem Jenseits im Traum auf sie einprasseln lassen wie einen warmen Regen. Nein, sie nicht. Mit diesem herrlichen Hintern, den die Natur ihr geschenkt hat wie einen unverdienten Preis, hat sie es gar nicht nötig, mit irgendwelchen Lottozahlen zu jonglieren, und lässt sie lieber nach ihrer Pfeife tanzen, diese lüsternen Männer, die sich den Hut vom Kopf reißen, wenn sie sie grüßen, die den Schlaumeier markieren und sie vor den Augen des Bürgermeisters Siani besabbern.
    Indessen schwillt der Karneval um sie herum an und mit ihm der Lärm. Es sind misstönende Klänge, die inzwischen längst in Vergessenheit geraten sind, ein großes Scheppern und Trommeln und Tröten. Vom jüngsten Regenschauer schimmert die Straße noch ein wenig, und man muss auf der Hut sein, um nicht auszurutschen. Viele Kinder sind in Grüppchen unterwegs, andere allein oder in Begleitung ihrer Eltern. Ein Zorro, Hofdamen, Feen, Toreros, der Mann mit der Maske, kleine Japanerinnen, Minnesänger und andere, schwerer zu erkennende Verkleidungen, wenn man sich zu Hause nicht so gut auf das Nähen versteht. Über allem liegt ein grausames Licht, der unwirkliche Schein der letzten Sonnenstrahlen zwischen der Erde und einem Himmel, an dem noch immer Regen dräut. Es ist ein Licht, das die Kontraste der Masken vertieft, wie unter Pauspapier, ein Licht, das wie ein Vorbote der Dunkelheit ist.

    Einen Moment lang taucht mitten in der Menge ein schneeweißes Kleid auf, das Gewand der Erstkommunion mitsamt Handschuhen und Schleier. Es ist Archina Solimene, die es trägt. Sie geht mit gesenktem Kopf neben ihrem Vater Nunzio Solimene, der sie am Arm zieht. Das Kleidchen ist ihr entschieden zu klein, es ist zu eng und zu kurz. Schaut man genauer hin, so sieht man, dass der Saum bereits mehrere Male herausgelassen wurde. Ein paar Augenblicke lang ist er sichtbar, dieser weiße Fleck, eine Zäsur im farbigen Reigen. Wie ein Hirschkalb zwischen den Bäumen im Wald taucht er auf und verschwindet wieder. Vater und Tochter gehen schnurstracks weiter; wie es scheint, verziehen sie keine Miene. Einen Moment später sind sie verschwunden, wie verschluckt von der Menge und den Luftschlangen …
    Die Burschen aus den weniger betuchten Familien tragen an diesem Tag dieselben Hosen wie an jedem
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