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Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen
Autoren: Teresa De Sio
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meine Schwester zu einer Art Tier, mit dem man nichts mehr anzufangen wusste.
    Dabei hatte ich gedacht, an einem bestimmten Punkt … Sie wissen schon, das Alter, in dem es ein bisschen schwierig wird. Zum Beispiel erinnere ich mich noch ganz genau an die Nacht, in der meine Schwester zum Fräulein wurde, Sie wissen schon, was ich meine, jedenfalls, als sie zum ersten Mal ihre Regel bekam, die Blutung, mit der die Zeit der Kindheit aufhört und mit der ein Mädchen erwachsen wird. Jedenfalls weiß ich noch genau, dass sie und der Vater am Abend von draußen heimgekommen waren und die Kleine keinen Appetit hatte und sich gleich hinlegte. Am Morgen danach, als es Zeit war, in die Schule zu gehen, machte sie keinerlei Anstalten aufzustehen, mucksmäuschenstill war es da drinnen im Zimmer. Damals wollte sie sowieso nicht mehr in die Schule gehen, weil sie sagte, die anderen Kinder würden sie verprügeln, und so dachte ich, das sei auch diesmal der Grund, weshalb sie nicht aufstehen wolle, und ich wollte nicht, dass der Vater etwas merkte, weil er sie dann nur geschlagen hätte. Damals war ich schon etwa zwanzig, aber in die Schule war ich nie gegangen, weshalb mir etwas daran gelegen war, dass wenigstens die Kleine ein wenig
Bildung bekam. Jedenfalls ging ich auf Zehenspitzen zu ihr ins Zimmer, in dem nur wenige Möbel standen, und da lag Archina ganz still im Dunkeln auf dem Bett, wie tot. Und es sah nach einem gewaltsamen Tod aus, denn ihre Beine waren beschmutzt, und auch das Laken und ihr Unterkleid, alles war mit etwas Braunem verschmiert, das aussah wie geronnenes Blut, und das war es auch. Ihr erstes Blut. Woran ich mich dann noch erinnere, ist, dass sie schlief, aber im Schlaf redete. Sie sagte, da seien Indianer, mit all ihren Pferden und den bunten Federn und ihren bemalten Gesichtern, die aus dem Gebirge herabgekommen seien, und es sei Maglie und auch wieder nicht Maglie, und dass sie sich unter dem Wagen versteckt habe, und deshalb hätten die Indianer sie nicht gesehen, aber alle anderen hätten sie umgebracht, nur sie hätte sich retten können, aber dann hätte einer der Indianer sie unter dem Wagen entdeckt und wäre gekommen, um sie mit dem Messer abzuschlachten. Und ich, Signorina, ich stand vor ihr und hab mir das alles angehört. Mir kam das alles ein bisschen komisch vor, vor allem das viele Blut, denn obwohl ich so viel älter und schon seit einigen Jahren voll entwickelt war, erinnerte ich mich noch gut an meine erste Blutung und daran, dass es damals viel weniger Blut gewesen war. Und dann zuckte Archina zusammen, und ohne die Stimme zu verändern, sagte sie: »Compare, wenn ich mir wehtue, brauche ich nicht in die Schule zu gehen.« Danach machte sie die Augen auf und sah mich in ihrem Zimmer stehen. Und da musste ich lachen, weil ich einfach nicht wusste, wie sie auf diese Indianer gekommen war, in welchem Film sie sie gesehen hatte, dass sie sie so gut beschreiben konnte, oder vielleicht hatte sie sie auch in
einem der Heftchen mit den bunten Bildern entdeckt, die Donna Aurelia kaufte und die ich nicht anschaute, aber Archina schon, ja, die sie sogar versteckte, und wehe, wenn einer sie anfasste! Den sollten die Türken gefangen nehmen! Jedenfalls, was soll ich Ihnen sagen, Signorina, die Wahrheit ist, dass man nie auslernt. Sie könnten mir zu Recht sagen, dass die Dinge, die man wissen muss, in irgendwelchen Büchern stehen, dass man in die Schule gehen und lernen muss und dass man dann am Ende schlauer ist… Ach, Signorina, es ist ein wahres Elend, wenn man nichts begreift und wie hinter dem Mond lebt, denn damals lebten wir so, wie hinterm Mond … Es gab keine Bücher, sondern die Dinge passierten einfach, und niemand sagte einem vorher etwas … und hinterher war niemand da, um einen zu trösten, denn was geschehen ist, ist geschehen.
    Es war genau in der Zeit, und jetzt kommen wir zu dem, wofür Sie sich interessieren, Signorina, dass die Geschichte mit dem Biss passierte. Wissen Sie, hierzulande sagt man, wenn man im Sommer aufs Feld geht, dann kann es sein, dass man von dieser Spinne, der Tarantel, gebissen wird. Es heißt, die Taranteln sind in Wirklichkeit die Geister von Verstorbenen, und wenn sie dich beißen, dann geht die Seele des Verstorbenen auf deinen Körper über und macht dich krank. Das war im Jahr 1955 oder 56. Archina war damals zwölf, es war Ende Juni, und ich erinnere mich, dass es wahnsinnig heiß war. Eines Nachmittags war ich gerade dabei, im Hof der Grecos die
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