Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
ein Feuerzeug in seinen Händen.
»Wo hast du das denn her?«, flüsterte sie.
»Aus der Schublade in Nonnas Wohnzimmer.«
»Spinnst du? Was willst du damit? Steck das sofort weg!«
Jan schüttelte den Kopf. »Ich habe noch was von zu Hause mitgebracht«, sagte er geheimnisvoll. »Hab ich gegen Fußballsticker getauscht. Damit jagen wir den Dieb raus. Guck!«
Eine Flamme loderte aus dem Feuerzeug und ein ganzes Bündel von Zündschnüren begann zu brutzeln und zu knistern – und jetzt erkannte Kristina voller Schreck, was Jan hervorgekramt hatte. Böller und Feuerwerk.
»Nein!«, wollte sie rufen, aber es war zu spät. Schon flogen die Böller durch die Luft über die Mauer und Jan zündete schon die nächste Ladung. Dann brach ein Höllenlärm los. Heulen, Zischen und Kanonenschläge hallten in den Gassen wider. Erschreckt flatterten die Tauben davon. Federn stoben in der Luft. Ein bunter Funkenball sauste hoch in die Luft und explodierte mit einem ohrenbetäubenden Knall in einem Regen aus roten Sternschnuppen.
Fenster flogen auf, aufgeregte Stimmen erklangen. Auf dem Balkon tauchte eine Frau mit einer karierten Schürze auf und schlug beim Anblick des Feuerwerks erschrocken die Hände vor den Mund. Kristina biss sich auf die Unterlippe. Na klasse! Das würde Mordsärger mit Nonna geben.
Aus dem Hof gellte ein schriller panischer Schrei. Die Wäscheleine ruckte in Kristinas Händen. Ohne nachzudenken, warf sie sich nach hinten. Jetzt war es ohnehin zu spät, einen Rückzieher zu machen. Jan ließ ein Triumphgebrüll los und schnappte sich ebenfalls die Leine. Dann zogen sie beide mit aller Kraft, als würden sie beim Fischefangen das Netz einholen, und hievten das Bündel hoch. Schaukelnd hing es nun am Balkon, zwei Meter über dem Boden.
»Um Himmels willen!«, kreischte die Balkonfrau. »Was macht ihr denn da?«
Auch im Hotel Dandolo flog ein Fenster auf – in Nummer vierzehn. Die Fensterläden hatten so viel Schwung, dass sie gegen die Mauer krachten und Putz abfiel. Und zwischen ihnen tauchte Nonna auf. Doch sie machte sofort einen Sprung zurück, als der letzte Kracher direkt vor ihrer Nase vorbeizischte und in einem grünen Funkenregen explodierte.
»Oh, oh«, sagte Jan.
Das Feuerwerk war jetzt endlich abgebrannt, aber seltsamerweise gellte immer noch ein Heulen in Kristinas Ohren. Und jetzt sah sie auch, woher das schaurige Geräusch kam: aus dem schaukelnden Netz, in dem etwas wie wild herumzappelte. Ein strampelndes, kleines Etwas mit winzigen Händen, die verzweifelt an den Schlaufen zerrten. Für einige Momente riss das Gezeter ab, als der kleine Dieb Luft holte. Und dann war es, als würde eine Alarmsirene losgehen. »Luca!«, brüllte das Wesen. »Luuuuuca!«
»Au!«, schrie Jan auf und ließ die Leine los. Das Netz ruckte nach unten, dann nahm ein Schlag gegen die Rippen Kristina alle Luft. Jemand schubste auch sie so grob zur Seite, dass sie gegen die Mauer taumelte. Als sie das nächste Mal aufblickte, stand vor ihr ein schlaksiger großer Junge mit einer Baseballkappe. Die Wäscheleine hatte er ihr aus den Händen gerissen. Die Nachbarn lehnten sich aus den Fenstern, fuchtelten mit den Händen und riefen dem Jungen Dinge zu wie »Vorsichtig« – »Halt gut fest« – »Langsam«.
Der Junge ließ die Falle eilig zu Boden. Erleichtertes Aufseufzen ringsherum, zwei ältere Spaziergänger applaudierten. Den Jungen kümmerte das nicht, kaum lag das Bündel, stürzte er hin und schälte das plärrende Etwas aus dem Netz.
Jetzt begriff Kristina das ganze Ausmaß ihrer Aktion: Das war ganz sicher nicht das geheimnisvolle Kind vom Fenster. Stattdessen hatten sie und Jan irgendein kleines Nachbarsmädchen gefangen. Es war höchstens sechs Jahre alt, hatte rotbraune Locken und niedliche Glitzerspängchen im Haar. Das Gesicht war rot vom Weinen und von Tränen ganz verschmiert. Im Eifer des Gefechts war der Kleinen ein babyblauer Gummistiefel vom Fuß gerutscht. Er lag verheddert im Netz – neben Jans Board. »Brutta strega cattiva!« – Hässliche gemeine Hexe!,schrie die Kleine und deutete anklagend auf Kristina. Nun, das war offensichtlich kein »süßer kleiner Engel«.
»Alles gut, Pippa«, sagte der Junge tröstend. Doch an Kristina gewandt, stieß er hervor: »Ihr spinnt wohl! Sie hätte sich verletzen können!«
»Es war eine Verwechslung«, rechtfertigte sich Jan.
Missbilligendes Murmeln wallte auf. »Ts, ts«, machte die Nachbarin auf dem Balkon kopfschüttelnd.
Angelockt von
Weitere Kostenlose Bücher