Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
tatsächlich mit aller Kraft auf der anderen Seite. Aber dann schrie Jan auf und ließ los. Er schüttelte mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Hand und starrte dann entsetzt auf seinen Daumenballen. Darauf zeichnete sich ein Kranz von winzigen roten Zahnabdrücken ab. »Es hat mich gebissen!«
Kristina spürte, wie ihr das Blut heiß in die Wangen schoss und ihre Fäuste sich ganz von selbst ballten. Sachen klauen war eine Sache. Aber ihren kleinen Bruder beißen eine ganz andere!
»He!«, schrie sie. Sie warf sich auf den Bauch und ihre Hand schnellte durch den Spalt. Ihre Finger erwischten gerade noch den Zipfel eines Stoffstückes. Ein erschrecktes Kieksen ertönte, dann schlug das Skateboard schmerzhaft gegen ihr Handgelenk, es gab einen Ruck und das Kind war Kristina wieder entwischt. Wütend spähte sie durch den Spalt. Nicht einmal Jan hätte sich da durchquetschen können, aber das Kind war offenbar klein genug. Jetzt versteckte es sich wohl direkt an der Mauer. Jedenfalls schien der Hof leer. Soweit Kristina erkennen konnte, war es ein gepflasterter viereckiger Platz. In der Mitte erhob sich ein kleiner Steinbrunnen. Um ihn herum bildeten braune und weiße Steinfliesen ein geometrisches Schachbrettmuster. Doch an sehr vielen Stellen hatten die Steine Risse und waren gesprungen. An einer Stelle klaffte sogar ein breiter Spalt im Boden. Aber weit und breit keine Palmen.
Jetzt erklang ein Rollergeräusch. Der Dieb fuhr seelenruhig im Hof herum! Das war zu viel für Jan. Tränen der Wut und Verzweiflung schossen ihm aus den Augen. »Ich will mein Skateboard zurück!«, heulte er auf. Jenseits der Mauer ertönte ein kleines, fieses Kichern.
»Na warte, wenn ich dich erwische«, zischte Kristina. Aber wie sollte sie in den Hof kommen? Hastig sah sie sich um. Die Balkone waren zu hoch und zu weit weg von der Mauer. Sie musste eine Leiter suchen und an Nonna vorbeischmuggeln. Aber das würde viel zu lange dauern. Man müsste das Kind bis dahin festhalten und …
Festhalten . Kristina lächelte grimmig. Das war die Lösung.
Sie wirbelte herum und packte Jan bei den Schultern. »Keine Sorge, du kriegst es wieder«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Aber wir müssen schnell sein. Geh zurück ins Haus und klemm den Stuhl unter die Klinke von Nummer dreizehn. Und dann hol eine Wäscheleine und das Fischernetz. Ich warte hier und passe auf, dass die kleine Ratte nicht abhaut.«
Jan vergaß auf der Stelle zu heulen. »Was willst du mit dem Netz?«, flüsterte er ebenso leise wie sie.
»Was wohl? Wenn das Kind nicht durch die Tür zurück ins Haus kann, muss es hier raus. Nur wird es nicht weit kommen, weil es uns ins Netz geht. Aber psst! Es darf nicht hören, was wir vorhaben.«
Jan begann zu strahlen wie ein Weihnachtsbaum und schnellte hoch. Er fegte so rasch davon, dass seine Beine nur so wirbelten.
Kristina bückte sich wieder zum Spalt. »He, du!«, rief sie.
Das Rollergeräusch verstummte. Drinnen wurde es so still, als würde der Dieb verharren und lauschen. Und jetzt, als sich Kristinas Wut ein wenig abkühlte, fand sie die Stille fast ein bisschen unheimlich. Bei der Erinnerung an die Katzenaugen fröstelte Kristina. Was auch immer auf der anderen Seite der Mauer hockte – ein gewöhnliches Kind war es nicht. Aber komischerweise war ihre Neugier größer als ihre Furcht.
Kurz darauf kam Jan atemlos angestürmt, das Netzbündel auf der Schulter. Um seinen Hals hing eine Wäscheleine.
Kristina fädelte blitzschnell die Leine durch die Schlaufen des Netzes, dann warf sie je eines der beiden Enden nacheinander über die runden Säulen der Balustraden zu beiden Seiten der Mauer. Ein Ende lag in Kristinas Hand, auf der anderen Seite spannte Jan das Netz. Wenn der Dieb durch den Spalt nach draußen kroch, würde er ruck, zuck sicher verpackt nach oben gezogen werden.
»Jetzt tun wir so, als ob wir gehen«, flüsterte sie und fügte laut auf Italienisch hinzu: »Hat keinen Sinn, Jan. Wir müssen wieder ins Haus zurück, schauen wir später noch mal nach.«
Sie trampelten laut ein paar Schritte davon und postierten sich dann wieder.
Nichts geschah. Eine Minute verging, und dann zwei weitere. Und immer noch herrschte Totenstille. Kristina wurde nervös. Ob das Kind überhaupt noch da war? Vielleicht hatte der Hof ja doch einen weiteren Ausgang?
Hinter ihr wühlte Jan in seiner geheimen Tüte herum. Ein metallisches Schnippen ertönte.
»Psst!«, zischte Kristina. Beim Blick über die Schulter entdeckte sie
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