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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose
Autoren: Sonia Marmen
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schrecklich abergläubisch, Caitlin! Bewahr dir deine Geschichten über Feen und Elfen für deine Enkelkinder auf.
    »Kommst du nun, oder möchtest du wirklich lieber hierbleiben?«
    Liam hatte den Weg eingeschlagen und wartete mit ausgestrecktem Arm auf mich.
    »Ich komme schon…«
    Noch einige Augenblicke lang bewunderte ich den Anblick unseres majestätischen Tals, das sich hinter dem Loch ausbreitete. Stolz überragte das mit Ziegelpfannen gedeckte Dach von John MacIains Herrenhaus die Bäume, und ein paar Katen waren ebenfalls zu sehen. Der Clan war sicher – dieses Mal.
    Die Niederlage hatte bei den Aufständischen zwar einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, aber sie hatte ihnen nicht die Hoffnung genommen, ihr Ziel eines Tages zu erreichen. Gewiss, die Engländer behielten uns im Auge. Doch die Jahre würden vergehen, und eines Tages würde ein Mann aufstehen und von neuem das Flammende Kreuz schwenken. Dann würden
die Clans aus ihrer Erstarrung erwachen, den scharfen Stahl ihrer Waffen polieren und ihre Musketen putzen. Die Kriegsrufe würden durch die purpur- und ockerfarben gefleckten Täler der Highlands hallen, Fionn MacCumhails schlafende Krieger erbeben lassen und das gälische Blut erneut zum Sieden bringen. Stille Wasser waren tief; die Engländer sollten sich nur vorsehen. Die Schotten waren so hart und unbeugsam wie der Granit, aus dem ihre Berge bestanden, und sie würden niemals aufgeben.
    Der Wind fuhr um mich herum und murmelte in meinen Ohren. Einen Moment lang war mir, als hörte ich jemanden meinen Namen flüstern. Mutter … Mir standen die Haare zu Berge, und ein eisiger Schauer überlief mich von Kopf bis Fuß. Erschrocken erstarrte ich. Ranald … Bist das wirklich du, mein Sohn?
    »Du bist ja ganz blass geworden, Caitlin. Geht es dir auch gut?«
    Ich blinzelte und riss mich aus meiner Apathie. Der Wind hatte das merkwürdige Gefühl, das ich empfunden hatte, verweht, und die schwüle Sommerhitze überfiel mich wieder.
    »Ähem, ja …«
    »Man könnte meinen, du hättest ein Gespenst gesehen.«
    Ich lächelte schwach und trat zu ihm auf den Weg.
    »Hast du es auch gespürt?« Ich konnte die Frage nicht zurückhalten.
    »Was denn?«
    »Diese Eiseskälte. Sie hat mich eingehüllt und … Ich hatte das Gefühl, dass da jemand neben mir stand.«
    Kurz sah er mich durchdringend an, aber dann erhellte ein Lächeln seine Miene.
    »Daran wirst du dich schon gewöhnen, a ghràidh . Du wirst sehen, oft wollen sie uns auf diese Weise nur sagen, dass sie noch da sind, in unserer Nähe. Eines Tages wirst du anfangen, mit ihnen zu sprechen. Sie gehören für immer zu uns, verstehst du?«
    »Dann spürst du diese Kälte manchmal auch?«, verwunderte ich mich.
    »Gelegentlich«, gestand er. »Sie kommen einfach so, ohne Vorankündigung, und verschwinden genauso rasch wieder.«

    Zärtlich nahm er meine Hand, lächelte noch strahlender und enthüllte eine blitzende Zahnreihe. Über den Bergen begann es am Himmel erneut zu grollen.
    »Komm, lass uns den Teufel nicht versuchen. Malcolm wäre vielleicht doch in der Lage, uns zurückzulassen… bei diesem Unwetter, das da aufzieht.«
    »Liam!«, rief ich ein wenig perplex, »willst du damit sagen, das war wirklich ein … ?«
    »Ein was? Ein Geist? Aber ja … Hoppla!«
    Ich war auf einem Stein ausgerutscht, und er hielt mich fest, damit ich nicht ins Wasser fiel.
    »Wir sind vor allem Seelen«, erklärte er mir, »Seelen, die in einer fleischlichen Hülle gefangen sind. Wir sind hier, um… nun ja, um das Werk zu verrichten, das Gott uns auf dieser Welt zugewiesen hat. Wenn Er findet, dass wir unsere Aufgabe erfüllt haben, befreit Er uns durch den Tod. Und die Seele kann dann hingehen, wohin sie will.«
    »Wie kommst du zu diesen Gedanken über Leben und Tod?«
    Seine Miene wurde ernst. Er führte mich den Weg hinauf, der auf der anderen Seite der Steilwand lag, und wir kletterten durch die Brennnesseln bis hoch auf den Felsvorsprung. Die Insel lag jetzt verlassen da.
    »Ich habe den Tod schon in vielerlei Gestalt erlebt. So oft habe ich ihn schon zuschlagen gesehen, dass ich inzwischen anders darüber denke. Das Leben ist flüchtig, Caitlin. Das Schicksal schlägt grausam und ohne Vorwarnung zu, das weißt du ebenso gut wie ich. Es ist unvermeidlich …«
    »Ich möchte lieber nicht darüber sprechen.«
    »Der Tod ist ein Teil des Lebens, und das Ganze ist ein Zyklus. Wir brauchen keine Angst davor zu haben. Ich habe einmal einen Blick auf die
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