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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose
Autoren: Sonia Marmen
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Liam verzog den Mund, und ich vermutete, dass er das Gleiche dachte wie ich.
    »Die Sassanachs werden einige Zeit in den Highlands patrouillieren, um uns daran zu erinnern, wer hier der Herr ist. Dann wird nach und nach der Normalzustand zurückkehren, und bald wird das alles nur eine schlimme Erinnerung sein. Wir müssen nichts als ein wenig stillhalten.«
    »Und die Exilierten?«
    Ich musste wieder an John Cameron denken. Der Chief von Lochiel war im letzten Monat zusammen mit den wenigen jakobitischen Adligen, die das Land noch nicht verlassen hatten, an Bord eines Schiffes gegangen, das irgendwo auf die Hebriden gefahren war. Er hatte Achnacarry verlassen und den Clan seinem sechzehnjährigen Sohn Donald anbefohlen.
    »Vielleicht wird der König sie in einigen Jahren begnadigen, wenn er seinen Thron nicht mehr in Gefahr sieht. Ich glaube nicht, dass der Prätendent, nachdem er aus Frankreich verbannt worden ist und jetzt unter den wohlwollenden Fittichen des Papstes in Rom lebt, so bald noch einmal seine Rechte einfordern wird. Vielleicht sollte er sich darauf konzentrieren, einen Erben zu zeugen.«
    Das erinnerte mich mit einem Mal an Marions Zustand. Ich streichelte Liams warme, trockene Stirn und lächelte verschmitzt.
    »Ist dir eigentlich klar, dass du bald Großvater wirst, mo rùin ?«, fragte ich spöttisch.
    »Womit aus dir unvermeidlich eine Großmutter wird, a ghràidh .
Au!«, schrie er auf und rieb sich die Wange, in die ich ihn gekniffen hatte. »Und eine ganz böse Großmutter noch dazu!«
    Das Kind wurde im nächsten Winter erwartet. Ich konnte nicht umhin, Mitleid mit dem Laird von Glenlyon zu empfinden, der die Geburt seines ersten Enkelkindes nicht erleben würde.
    In unserer Nähe fielen ein paar Kieselsteine ins Gras. Liam beschattete die Augen mit der Hand, um festzustellen, wer da oben auf der Felswand unsere Aufmerksamkeit zu erregen versuchte.
    »Wir brechen auf«, verkündete Duncan. »Malcolm möchte nicht in das Unwetter hineinkommen. Er hat gedroht, er würde euch hier zurücklassen, damit ihr die Nacht unter den wandelnden Seelen verbringt, wenn ihr euch nicht beeilt.«
    Brummend erhob sich Liam.
    »Sag diesem alten Griesgram, wenn er mich hier vergisst, könnte es sehr gut sein, dass ich vergesse, ihm seinen Hirsch zu schießen.«
    Über uns erklang ein wissendes Lachen, und dann war Duncan fort. Ich sah Liam an, der in sein Hemd schlüpfte, und schützte Empörung vor.
    »Du würdest doch nicht wagen, den armen Malcolm den ganzen Winter hindurch zum Bettler zu machen, oder?«
    »Ich werde es wagen, wenn er es wagt, uns hier zurückzulassen, a ghràidh «, beharrte er lachend.
    Malcolm Macdonald, unser guter alter Zimmermann, hatte das ehrwürdige Alter von siebenundsiebzig Jahren erreicht. Seit einiger Zeit erlaubten seine schmerzenden Gelenke ihm nicht mehr, seiner Arbeit nachzugehen, und er konnte auch nicht mehr über die Heide und durch die Berge ziehen, um zu jagen. Daher schenkte Liam ihm jedes Jahr, bevor die große Kälte einsetzte, einen kräftigen Hirsch. Ich war mir sicher, dass er dem Alten sogar ein schönes Tier jagen würde, wenn er uns hier eine Woche schmoren ließ.
    Liam half mir, aufzustehen und mein Mieder zu schnüren. Auf seinem schönen, von der Sommersonne gebräunten Gesicht lag ein verschmitztes Lächeln. Er steckte sich das Hemd wieder in den Kilt und befestigte sein Plaid mit seiner Brosche, in deren
Mitte ein rechteckiger, blauer Achat schimmerte. Zärtlich zog er mich dann an seine Brust.
    »Hmmm … Die Vorstellung, allein mit dir hier zu bleiben, missfällt mir ganz und gar nicht.«
    Ich dagegen erschauerte bei der Aussicht, eine Nacht auf einer von Geistern bevölkerten Insel zu verbringen, selbst wenn es die Geister lieber Verstorbener waren. Schon immer hatte ich mich vor Gespenstern gefürchtet.
    Mein Blick wanderte zum Loch, in dem sich die dicken schwarzen Wolken, die vor den blauen Himmel gezogen waren, spiegelten. Ich hatte gehört, dass Männer, die bei Nacht über den See fuhren, oft die Geister, die auf der Insel tanzten, als kleine Lichter wahrnahmen, Irrlichter. Noch heute erinnerte ich mich sehr gut an die Sagen über Zwerge und böse Geister, die Tante Nellie mir in meiner Kinderzeit in Irland zu erzählen pflegte, und ich hegte keinen besonderen Wunsch, persönliche Bekanntschaft mit diesen seltsamen Wesen zu machen.
    Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf, um die Bilder von bösartigen Gnomen zu vertreiben. Du bist
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